Die Botschaft der Bäume

„Kein anderes Geschöpf ist mit dem Geschick der Menschheit so vielfältig, so eng verknüpft wie der Baum“, schreibt schon der Historiker Alexander Demandt. Seit wir Menschen von den Bäumen herabgestiegen sind, haben wir stets mehr oder weniger bewusst eine innige Verbindung zu diesen Wesen bewahrt – sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht.

Seit Urzeiten versorgen uns die Bäume mit Sauerstoff, mit der Luft zum Atmen, mit Nüssen, Früchten, Obst und anderen Nährstoffen, mit Holz für unsere Behausungen, Werkzeugen und Nutzgegenstände. Die ersten Boote wurden als „Einbaum“ aus einem einzigen Stamm gefertigt, Amerika wurde mit hölzernen Schiffen entdeckt und besiedelt und auch heute noch ist der Roh- und Werkstoff Holz aus unserem Leben nicht wegzudenken.

Viel mehr noch, unsere ganze Kulturgeschichte ist aufs Engste mit den Bäumen verknüpft, denn ohne sie wäre die Erfindung des Feuers ein Strohfeuer geblieben und hätte keinen nachhaltigen Brennstoff für unsere kulturelle Entwicklung geliefert. Ohne Holz kein Feuer, keine Metallurgie, keine Industrie, kein Fortschritt und keine Zivilisation. Darüber hinaus hat unsere Verbindung zu den Bäumen allerdings noch eine viel subtilere Seite, die oft übersehen wird.

Der Efeu steht für Selbstlosigkeit und Demut, Treue und Bescheidenheit.

Der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens
Schon in der biblischen Schöpfungsgeschichte spielen zwei Bäume entscheidende Rollen: der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis. Gott hat Adam und Eva erlaubt, von allen Bäumen im Paradies zu essen, außer vom Baum der Erkenntnis – was sie dann natürlich trotzdem tun, auch wenn ihnen dies die Sterblichkeit und die Verbannung aus dem Garten Eden einträgt:
„Gott sprach: Siehe, der Mensch ist im Erkennen von Gut und Böse wie einer von uns geworden, und nun, dass er seine Hand nicht ausstrecke und tatsächlich auch vom Baum des Lebens nimmt und isst und auf unabsehbare Zeit lebt. Darauf tat ihn Gott aus dem Garten Eden hinaus, damit [er] den Erdboden bebaue, von dem er genommen worden war. Und so trieb er den Menschen hinaus und stellte im Osten des Garten Eden die Cherube auf und die Flammende Klinge eines sich fortwährend drehenden Schwertes, um den Weg zum Baum des Lebens zu bewachten.“ (1. Mose 3,22-24)
Jenseits des „Sündenfalls“ wird eines klar: Die Bibel schreibt den Bäumen hier übernatürliche Eigenschaften und Fähigkeiten zu. Der Baum der Erkenntnis verhilft dem Menschen zu einer gottgleichen Bewusstheit und der Baum des Lebens würde, wenn er denn zugänglich wäre, dem Menschen zu ewigem Leben verhelfen.

Wenn wir einmal genauer hinschauen, werden wir feststellen, dass auch in anderen Überlieferungen Bäume immer wieder eine zentrale, wenn auch oft verkannte Rolle spielen. So erlangte Sid-dhartha Gautama unter einer Pappel-Feige (Ficus religiosa) sitzend Erleuchtung und wurde so zum Buddha. Die Pappel-Feige, der Bodhi-Baum, gilt seither in der buddhistischen Kunst als Symbol des Erleuchteten.

Die Mandel ist der Baum der Mystiker – ihr alter aramäischer Name bedeutet „Licht“.

Interessanterweise bauten die alten Ägypter aus dem Holz der nahe verwandten Maulbeer-Feige (Ficus sycomorus), auch Sykomore genannt, die Sarkophage für ihre Pharaonen, die ihnen zur Unsterblichkeit verhelfen sollten, und verehrten den Baum seit der Zeit des Alten Reiches um 2600 v. Chr. als Personifikation der Liebesgöttin Hathor.

In der germanischen Tradition ist es Odin, der an dem Weltenbaum Yggdrasil gebunden in einer Vision das Geheimnis der Runen empfängt, jener magischen Zeichen und Symbole, die später zu unseren Buchstaben werden sollten. Wussten Sie, dass die Runen ursprünglich auf aus Buchenästen geschnittenen Scheiben geritzt oder gebrannt wurden und wir deshalb auch heute noch von „Buchstaben“ sprechen?

Man könnte zahllose Beispiele aus fast allen Kulturen der Welt anführen, bis hin zu dem Apfel, der dem Begründer der modernen Physik, Isaac Newton, beim Grübeln unter einem Apfelbaum auf den Kopf fiel und ihn so auf die Idee brachte, die Himmelsmechanik beruhe auf derselben Ursache wie der Fall von Äpfeln auf die Erde. Uns allen ist dieser Fall als die Entdeckung der Schwerkraft bekannt und wieder war es ein Apfel, der die Erkenntnis, aber auch gleichzeitig eine „zweite Vertreibung aus dem Paradies“ herbeiführte, indem er das Zeitalter der Aufklärung und der Säkularisation einläutete.

Zurück zu den Wurzeln
Heute haben viele Menschen den Kontakt zur Natur verloren – es gibt keine heiligen Haine mehr und kaum noch Urwälder. Aber genau in dieser Zeit sehnen sich immer mehr Menschen zurück und suchen nach der Arbeit instinktiv den Schutz der Bäume, indem sie Waldspaziergänge machen oder – wenn sie spirituell veranlagt sind – in der Natur auf Visionssuche gehen. Alte Baum-Kulte werden wiederentdeckt und zu neuem Leben erweckt, wie etwa die Verbindung eines neugeborenen Menschen mit einem bestimmten Baum. Früher war es hierzulande üblich, die Plazenta gleich nach der Geburt eines Kindes am Fuß eines jungen Obstbaumes zu begraben – ein Ritual, das gerade eine Renaissance erlebt. Auf die Weise wird das ätherische Doppel des Neugeborenen untrennbar mit dem Baum verbunden und beide fördern gegenseitig ihr Wachstum und Gedeihen.

Die Schwarzpappel ist ein Baum des Luftelementes und des Götterboten Merkur.

Gleichzeitig wächst nicht nur in neuheidnischen Kreisen das Interesse an den Kelten und ihren Druiden, die für ihren besonderen Baum-Kult bekannt waren. Die Herkunft des Wortes „druid“ ist umstritten und wird oft als „Eichenkundiger“ oder einfach als „großer Seher“ oder „Wissender“ übersetzt. Dabei ist es interessant, dass die indogermanische Wortwurzel „dru“ oder „drew“ die Druiden auch mit dem englischen „tree“ (Baum), „true“ (wahr, echt) sowie mit dem deutschen „treu“ und „vertraut“ verbindet. Wie man es auch dreht und wendet, der Bezug zwischen Druiden und Bäumen sowie zwischen Bäumen, Wahrheit und Vertrauen tritt immer wieder in den Vordergrund.

Hierzu passend hat der Autor Bertram Wallrath gerade eine überarbeitete Ver-sion des bekannten keltischen Baum-Horoskops herausgegeben, in dem jedem über seinen Geburtstag ein bestimmter Baum zugeordnet wird. Natürlich steht dabei jede Baumart für eine bestimmte Qualität – die Esche für Ehrgeiz, die Zypresse für Treue, die Kastanie für Redlichkeit, der Ahorn für Eigenwilligkeit usw. Es ist ein ausgefeiltes System, das durchaus dem der zwölf Sternzeichen ebenbürtig ist und interessante Aufschlüsse verspricht.
Gleichzeitig gibt das Buch zahlreiche Hinweise auf die Eigenschaften der jeweiligen Bäume und auf deren Verwendbarkeit in Heilkunde und Ernährung, inklusive Rezepten und konkreten Anwendungen.

Wussten Sie beispielsweise, dass ein Tee aus Tannentrieben schweiß- und harntreibend wirkt und zudem entgiftend ist? Aufgrund seines hohen Vitamin-C-Gehalts eignet er sich sowohl zur unterstützenden Behandlung bei grippalen Infekten und Rheuma als auch zur Frühjahrskur. Oder dass ganz junge, frisch entfaltete Buchenblätter nicht nur essbar sind, sondern mit Brunnenkresse gemischt einen ganz hervorragenden Salat ergeben? Die Anregungen zur Wiederverbindung mit der Natur in „Das keltische Baum-Horoskop“ sind ausgesprochen vielseitig und überaus praktisch.

Baum-Geister, Götter und Genien

Die Silberweide ist der Baum des Mondes und des weiblichen Zaubers.

Dabei ist es durchaus angebracht und ratsam, wie nicht nur indianische Schamanen empfehlen, den betreffenden Baum um Erlaubnis zu bitten und mit ihm zu sprechen, bevor man Blätter pflückt oder Triebe bricht. Bäume sind empfindende Lebewesen und vor allem den uralten und weisen Exemplaren sollte man sich stets mit Respekt nähern.

„Ja, haben denn Bäume ein Bewusstsein oder eine Seele?“, mögen Sie sich fragen. Die alten Germanen waren davon überzeugt und glaubten, dass bestimmte Bäume mit den Göttern in Verbindung standen. So war die Esche Odin und die Eiche Donar geweiht. Die Griechen und Römer glaubten, dass Bäume von Nymphen bewohnt wurden: der Lorbeerbaum von Daphne, die Linde von Philyra, die Silberpappel von Dryope, der Nussbaum von Karya usw.
Auch der Autor von „Das Baum-Engel-Orakel“, der Ethnobotaniker Fred Hageneder, betrachtet Bäume als ganz besondere geistige Wesen, wobei jede Baumart einen „Engel“ oder Genius repräsentiert. Die Bäume sind für ihn verdichtete, materielle Ausprägungen eben jener Genien– eine Vorstellung, die der griechisch-römischen Anschauung entspricht.

Lange hat sich Hageneder gesträubt, diesen Energieformen ein konkretes Gesicht zu geben, bis er in Anne Heng eine Künstlerin fand, die den Baumwesen eine bildliche Gestalt geben konnte – jenseits von Kitsch und Klischees. So entstanden 36 Karten zu 36 Baumarten, die sich sowohl zu inspirierenden Meditationen als auch zur Kontaktaufnahme mit den Genien der jeweiligen Bäume eignen.

Hageneder hält es für ein zentrales Anliegen unserer Zeit, die uralte Freundschaft zwischen Mensch und Baum wiederherzustellen – ein Prozess, der in beide Richtungen wirken muss. Dabei können das Baum-Engel-Orakel, das keltische Baum-Horoskop sowie viele alte und neue Rituale einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie unser Bewusstsein für das Wesen und die Botschaft der Bäume öffnen: Wir sind nicht allein auf diesem Planeten – alles Leben ist miteinander auf Gedeih und Verderb verbunden. Wir müssen, wie Hageneder sagt, „glückliche, freie, liebende GRÜNE KRIEGER werden, denn in dieser Generation müssen wir für die Erde und alles Leben eintreten“. Wie man das anfängt? Gehen Sie doch einmal in den Wald oder in die Natur und sprechen Sie mit einem Baum, der Sie „anspricht“. Erwarten Sie nicht gleich eine Antwort, sondern lassen Sie sich einfach und unvoreingenommen auf die Erfahrung ein. Alles weitere wird sich dann ergeben.

BUCH-TIPP
Wallrath, Bertram
Das keltische Baumhoroskop
144 Seiten, € 9,80
ISBN: 978-3-89060-248-6
Neue Erde

BUCH-TIPP
Fred Hageneder, Anne Heng
Das Baum-Engel-Orakel
112 S., 36 Karten, € 24,80
ISBN: 3-89060-076-X
Neue Erde