Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Die heilende Wirkung der Natur ist allgemein bekannt und wird für viele Menschen wieder zunehmend eine Alternative zur klassischen Schulmedizin. Auf natürlicher Basis können Schmerzen gelindert und Krankheiten geheilt werden, ohne den Nachteil starker Nebenwirkungen. Aus dem breiten Feld der therapeutischen Ansätze tun sich nun zwei Traditionen besonders hervor, die in ihrer Kombination auf der Basis von Kräutertees einen umfassenden Wirkungskreis erschließen.

»Vor Tausenden von Jahren verfügte ein damals in China herrschender Kaiser, dass alles Wasser aus hygienischen Erwägungen abzukochen sei. Da begab es sich, dass Blätter eines Gewächses vom Wind erfasst wurden und in einem jener Töpfe mit kochendem Wasser landeten. Neugierig, wie er war, konnte der Kaiser nicht umhin, von dieser dunklen Brühe zu kosten – und fühlte sich sogleich erfrischt.« So beschreibt die chinesische Mythologie die Geburtsstunde des Tees. Zwar bleibt fraglich, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat. Dass aber der Ursprung der Teekultur im Reich der Mitte liegt, ist ausreichend gesichert.

Zunächst lange als Heilmittel genutzt, etablierte sich der Tee später auch als Genussmittel und begann von China aus seinen Siegeszug in die ganze Welt. Die Heilkunst der aufgebrühten Kräuter verankerte sich so in vielen Traditionen und Kulturen. Alt bewährt und arm an Nebenwirkungen, nimmt ihre Popularität heute wieder stetig zu, während die Schulmedizin als einziges »Allheilmittel« infrage gestellt wird. Der Einsatz von Heilkräutern wird teils ergänzend, teils alternativ eingesetzt und reicht von einer vorbeugenden Anwendung bis hin zu einer Behandlung akuter Krankheitszustände. Erfolge erzielen dabei viele unterschiedliche Konzepte und Traditionen.

TCM

Die bekanntesten Ansätze der Kräuterheilkunde sind die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und die europäische Tradition. Beide sind im deutschsprachigen Raum etabliert und wurden nun von namhaften Vertretern über Jahrzehnte zusammengeführt, um sich gegenseitig zu ergänzen und zu potenzieren. Der in Deutschland als Heilpraktiker zugelassene Doktor der TCM Li Wu und der Apotheker und Autor pharmazeutischer Ratgeber Jürgen Klitzner untersuchten, welche Heilkräuter aus Ost und West am besten harmonieren und wie die Wirksamkeit der Tees optimiert werden kann. Die Heilkundler konnten feststellen, dass die chinesischen und europäischen Kräuter sich in ihrer Wirkung hervorragend ergänzen und oft sogar um ein Vielfaches verstärken können. Dabei kommt der sogenannte Synergie-Effekt zum Tragen, der darin besteht, dass eine Substanz eine andere in ihrer Wirkung unterstützt oder potenziert. Die Gesamtwirkung übertrifft dabei die Summe der Einzelwirkungen. Einige Kräuter werden durch den Synergie-Effekt verstärkt, andere dafür leichter im Körper aufgenommen. Sachgemäß angewandt, potenzieren sich die Wirkungen der Pflanzen und lindern noch effektiver die jeweiligen Beschwerden. Aufgrund dieser Wechselwirkung können die Kräuter eine Kraft entfalten, die eine schnellere und länger anhaltende Wirkung erzielt als die Einzelanwendungen.

Beim Menschenbild der TCM und der ganzheitlichen Kräuterheilkunde lassen sich zahlreiche Parallelen entdecken, so dass eine Verbindung beider Traditionen naheliegt. »Im Zentrum stehen hier Gesundheit und Heilung, und zwar mit Naturheilkunde«, berichtet Li Wu, der von seiner Zusammenarbeit mit Jürgen Klitzner begeistert ist. »Sowohl im Osten als auch im Westen haben die Menschen das Bedürfnis, die Heilkraft der Natur zu nutzen, ganz nach dem Motto close to nature. Die chinesische Heilkräuterlehre ist systematisch ihrer jahrtausendelangen Tradition gefolgt. Und auch die europäische Kräuterheilkunde hat eine lange Geschichte.«

Die Europäische Tee-Geschichte

Forschungen zufolge reichen die ersten Anwendungen von Heilpflanzen in China 5000 Jahre zurück. Als eine von fünf Behandlungssäulen ist die Kräuterheilkunde eine der wichtigsten Methoden in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Ergänzt wird sie durch Akupunktur, Ernährung, Massage und Bewegungslehren wie Tai Chi und Qi Gong. Ihrem Konzept liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Mensch Teil im Gesamtgefüge von Natur und Kosmos ist. Er agiert als untrennbares Glied in einer Kette, in der alle Teile ineinandergreifen und aufeinander einwirken. Natur, Körper, Geist und Seele sind eins. Die Grundkraft des Lebens wird als die Einheit des Gegensatzpaares Yin und Yan verstanden. Diese Oppositionspartner haben Anteil an allem, sie kommen überall vor. Sind sie ausgeglichen, transportieren sie Harmonie, und sie werden andererseits zum Störfaktor, wo einer der beiden stärker bzw. schwächer vertreten ist. Ihr Gleichgewicht wiederherzustellen, ist Aufgabe der chinesischen Medizin.

Die europäische Kräuterheilkunde reicht nicht ganz so weit, aber immerhin geschätzte 2000 Jahre zurück und kann sich mit Größen wie Hippokrates und Hildegard von Bingen schmücken. Verschiedenste Pflanzenbestandteile wurden als Tees, Salben oder Tinkturen zur Heilung genutzt. Für die medizinische Versorgung entscheidend waren zunächst die Klöster, in deren üppigen Gärten nicht nur die entsprechenden Pflanzen kultiviert wurden. In ihren Mauern wurde das wertvolle Wissen über die Heilkraft der Natur überhaupt erst gesammelt und katalogisiert, um viele Jahrhunderte später in Apotheken allgemein zugänglich gemacht und dann von der klassischen Schulmedizin stark zurückgedrängt zu werden. Bis heute.

Das große Umdenken

Doch es findet ein Umdenken statt, das alternativen Methoden regen Zulauf beschert. Beiden Traditionen, der westlichen und der östlichen, liegt ein ganzheitliches Menschenbild zugrunde, in dem alle Organe untrennbar im Kreislauf des Lebens miteinander verbunden sind und nicht auseinanderdividiert werden können. Damit stehen sie gegen eine stereotype, rein funktionale, mechanistische Denkweise, in der der Mensch zum »organischen Ersatzteilbetrieb« simplifiziert wird. Obschon einige Unterschiede zwischen den Heiltraditionen bestehen bleiben, ist ihnen die auf der Natur basierende Herangehensweise gemein, die das Beste aus beiden Traditionen zusammenführt. So kann der gemeinsame Ansatz eine heilende Wirkung schaffen, die mehr ist als nur die Summe ihrer Teile.

Buch-TIPP
Li Wu, Jürgen Klitzner
Heiltees für Körper, Geist und Seele
222 Seiten, € 17,95
ISBN 978-3-86374-089-4
Mankau Verlag