OM C. Parkin

Burnout: Das Ausfließen der Seele

Die Anzahl der Menschen, die unter Erschöpfungsdepression und Burnout leiden, ist auf alarmierende Art und Weise angestiegen. Unglücklicherweise werden aber meist nur die Symptome der Krankheit betrachtet. Im Interview beleuchtet OM C. Parkin, Philosoph und Leiter der Hamburger Schule für Innere Arbeit, die tieferen seelischen Gründe für solche Krankheiten.

OM C. Parkin

Vier Millionen Deutsche leiden unter behandlungsbedürftigen Depressionen. Einige psychische Krankheiten haben in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent zugenommen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

OM C. Parkin: Um die Ursachen zu verstehen, muss man weiter zurückblicken als nur Jahrzehnte. Im Mittelalter waren Krankheiten körperbetonter. Damals herrschten furchteinflößende Epidemien wie Pest und Cholera, die den Leib dahinrafften. Diese Krankheiten führten meist in eine Krisis, in der sich entschied, ob der Kranke genas oder starb. Das ließ wenig Raum dafür, dass Krankheiten chronisch werden und sich auf den Geist verlagern konnten. Mit der Aufklärung änderte sich das Bild. Die Betonung des Verstandes war ein großer Schritt in der Bewusstseinsevolution der Menschen. Aber gleichzeitig verschob sich das Krankheitsgeschehen kollektiv zunehmend auf das Feinstoffliche, auf den Emotionalkörper des Menschen und auf seine geistige Welt.

Sie sehen in der Zunahme seelischer Krankheiten also auch eine Nebenwirkung der Aufklärung?

Ja, denn durch diesen Entwicklungsschritt ist die Ratio und ihr rationales Selbst- und Weltbild heute mächtiger und komplexer, aber auch anfälliger für Krankheiten, die schleichend verlaufen und chronisch werden. Der Geist selbst macht krank. Er arbeitet schneller als der Körper. Das ist auch der Grund für die allgemeine Beschleunigung des Lebens in rational geprägten Gesellschaften. Besonders in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewinnt sie im Westen extrem an Fahrt, und durch die Globalisierung breitet sie sich weltweit aus.

Was ist der Motor dieser zunehmenden Geschwindigkeit?

Angst! Sie setzt im Geist eine nicht endende Beschleunigungsspirale in Gang. Je mehr die materielle Sicherheit der Menschen in der westlichen Welt vermeintlich zunimmt, desto mehr Angst haben sie. Und meinen, immer mehr Leistungen pro Zeiteinheit erbringen zu müssen, um die Furcht abzuwehren. Meine eigene Erfahrung geht genau ins Gegenteil: Je langsamer man innerlich wird, desto schneller gehen die Dinge im Außen.

Die meisten Burnout Patienten nennen Arbeitsdruck, Stress und Hektik als Ursachen für ihre Erschöpfung. Sind sie das Opfer dieser allgemeinen Beschleunigung?

Was in Alltag und in der Arbeitswelt als Beschleunigung erlebt wird, ist vor allem eine Beschleunigung des denkenden Geistes. Wer dem folgt, ist selbst auch Täter. Denn er hat sich entschieden, an dem Spiel des »mehr, schneller, effizienter« teilzunehmen. Das Ich ist allerdings so verschmolzen mit den Werten der Leistungsgesellschaft, dass das Bewusstsein für die eigene Täterschaft verloren gegangen ist. Um wieder Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu übernehmen, benötigt man ein Minimum an Selbstreflexion. Dann erkennt man, dass man nicht der Spielball von Leistungsgesetzen und Marktzwängen ist. Sondern dass sich jeder fragen kann: Welches Leben möchte sich aus meinem Inneren heraus entfalten?

Sich abzugrenzen erscheint schwierig. Viele sagen sich: Wenn ich nicht schnell genug rudere, gehe ich unter.

Niemand wird gezwungen, sich an vermeintlich von der Außenwelt vorgegebenen Gesetzen zu orientieren. Die unendliche Kreativität und Intelligenz des Selbst wird unterschätzt. Es gibt auch in der Wirtschaft Beispiele für Firmen, die einer alternativen Entwicklungskultur folgen. Sie sind erfolgreich, obwohl der Drill auf Leistung nicht an oberster Stelle steht.

Anerkennung ist die Währung, mit der Menschen für Anstrengungen belohnt werden, ob bei der Arbeit oder in der Familie. Dafür sind viele bereit, über die eigenen Belastungsgrenzen zu gehen. Warum sind wir so süchtig nach Lob und Beifall von anderen?

Weil wir Glück und Liebe vor allem im Außen suchen. Auch das Leistungsprinzip der modernen Gesellschaft steht im Dienst dieser Glückssuche. Symptome dafür sind die gigantischen Warenmen- gen, die Konsumgesellschaften produzieren und die wir eigentlich nicht brauchen. Auch in der Wirtschaft geht es um Ruhm und Anerkennung. Wer sind die modernen Helden? Die Manager mit den längsten Arbeitstagen und die Verkäufer mit den meisten Profiten. Da läuft eine gigantische Maschinerie der Glückssuche – am falschen Ort.

Nach Ansicht der psychologischen Forschung geraten Menschen vor allem dann in den Burnout, wenn ihre Belohnungssysteme versagen.

Ja, denn die Veräußerlichung funktioniert so lange, wie es scheinbar einen Rückfluss gibt. Er besteht aus »Kicks« wie Lob, Anerkennung und Bewunderung. Solange diese Stimulation anhält, bleibt unbemerkt, dass die Seelennahrung nicht aus dem eigenen Inneren kommt, sondern von außen zugefüttert wird. Wer in die Erschöpfung schlittert, glaubt oft, durch noch größeren Arbeitseinsatz wieder ins Spiel zu kommen. Das führt zu massiven Energieverlusten, die dann im Burnout gipfeln.

Das klingt nach Herumdoktern an Symptomen. Ist eine Psychotherapie der richtige Weg, die Ursachen von Burnout anzugehen?

Therapien mögen kurzfristig die Balance zwischen Belastbarkeit und Belastung wiederherstellen. Die wahre Heilungschance entsteht jedoch, wenn Menschen tiefer gehen und sich ihren inneren Löchern zuwenden.

Wie ist eine Psyche beschaffen, die zum Ausbrennen neigt?

Burnout bezeichnet nur das Endstadium eines energetischen Prozesses, der im Geist eigentlich aller Menschen abläuft: das Ausfließen der Seele. Man kann sich die Psyche als ein Gefäß vorstellen, gefüllt mit vitalem Wasser, sprich Lebenskraft. Durch viele kleine Risse läuft sie aus, verrinnt in der Außenwelt. Zurück bleibt ein innerer Hohlraum. In den Menschen bleibt ein energetisches Vakuum zurück, sie fühlen sich ausgebrannt.

Wie verläuft dieser Prozess konkret?

Die gesamte emotionale Energie wird dafür verwandt, etwas in der Außenwelt zu produzieren. Das Herz entleert sich nach außen. Das Produzierte können Güter und Dienstleistungen in der Wirtschaft sein, aber auch Beziehungen zu anderen Menschen. In jedem Falle geht die Aufmerksamkeit nach außen. Die Seele verkümmert. Innere Antreiber scheinen eine wesentliche Rolle zu spielen, damit es zum Burnout kommt. Dazu zählen Glaubenssätze, die uns nicht bewusst sind, etwa: »Du bist nur etwas wert, wenn du viel leistest.« Diese Antreiber sind das sogenannte Über-Ich. Solche von außen übernommenen Leitsätze erscheinen als Orientierungen, die für das Überleben notwendig sind. Das Über-Ich treibt das Ich an, aber es arbeitet nicht für die Seele, es ist wesensfremd. Es erzeugt einen Zwang, anderen gefallen oder sie besserwisserisch belehren zu wollen. Dieser Andere kann die Gesellschaft sein, Vater oder Mutter, sogar Gott.

Was geschieht, wenn Menschen durch Innenschau bis dahin unbewusste Leitsätze über Leistung und Erfolg entdecken?

Zunächst müssen sie der Lüge und dem Schmerz über die Verführung durch falsche Glaubenssätze ins Auge schauen. Wer in sich das Wesentliche, das Authentische sucht, sollte sich von den geistigen Prägungen des Kollektivs, von der Masse lossagen. Denn sonst führt er ein fremdbestimmtes Leben. Das ist eine große Herausforderung: Wenn Menschen beim Rennen im Hamsterrad nicht mehr mithalten können, fühlen sie sich minderwertig.

Die Leistungsgesellschaft liebt die Erfolgreichen. Diejenigen, die den schönen Schein noch wahren können. Die westlichen Gesellschaften werden zunehmend von diesem Charaktertyp beherrscht. Seine Leidenschaft ist die Eitelkeit. Sie beschreibt nicht nur die Tendenz, sich in fremdem Glanz zu sonnen, sondern auch einen Prozess innerer Aushöhlung. Das englische Wort vanity steht sowohl für »eitel« als auch für »hohl« und »leer«.

Therapeuten empfehlen Burnout-Patienten oft, das »Nein« zu lernen. Würden Sie dem zustimmen?

In der Tat: Sie können Nein sagen zu aufgedrückten Gesetzen, die nicht ihre eigenen sind. Und sie können innere Arbeit verrichten. Die verschiedenen Weisheitstraditionen kennen unterschiedliche For- men innerer Praxis, etwa Meditation, das Gebet und die Selbsterforschung. Jede Zuwendung zum eigenen Inneren ändert den Energiefluss. Doch wer ist dazu schon bereit? Wenn wir in die Politik oder in die Wirtschaft schauen: Wir werden von Menschen regiert und geführt, die völlig ahnungslos sind, was die unterbewussten Wirkkräfte des denkenden Geistes anbelangt, die ihr Handeln bestimmen. Realitätsverlust ist die Folge.

Hat unsere Gesellschaft ihre spirituellen Wurzeln verloren?

Es gibt bei uns keine geistig-spirituelle Sphäre mehr, die der säkularisierten, materiell orientierten Welt etwas entgegensetzen könnte.

Ist das breit gefächerten Angebot von Psychotherapien, spirituellen Zeitschriften und Bewusstseinstrainings wie Meditation und Yoga nicht auch ein Zeichen der Hinwendung zum Inneren?

Tatsächlich nimmt das Interesse an der eigenen geistigen Welt zu. Das haben wir auch der Generation der 1968er zu verdanken. Damals entstand eine Bewegung, die sich gegen die Lügengebäude der Vätergeneration richtete. Sie entzündete sich an deren Verschweigen der Kriegsgräuel und an verheimlichter Schuld. Dabei entstand auch eine Subkultur von spirituell Suchenden. Sie warfen Sinnfragen auf, die von der Nachkriegsgeneration gar nicht gestellt worden waren. Die Veräußerlichung, die mit Leistungsdogmen der Wirtschaftswunderzeit einherging, wurde radikal angezweifelt.

Entsteht heute mit der Zunahme psychischer Krankheiten ein Leidensbewusstsein – und damit eine Chance für mehr »Seelenpflege«?

Die Erfahrung, dass Menschen sich nur durch Krisen wirklich verändern, haben viele von uns gemacht. Freiwillig ist niemand bereit, sich grundsätzlich infrage zu stellen. Deshalb kann das massenhafte Auftreten seelischer Krankheiten, so merkwürdig es klingt, auch ein Glücksfall sein. Bewusst wahrgenommenes Leiden, das wir letztlich selbst erzeugen, führt zu Veränderungen. In einer psychischen Krise wird wieder die Sinnfrage gestellt: Wozu bin ich hier? Man beginnt, die Werte eigenen Denkens, Fühlens und Handelns zu überprüfen.

Sind Psychotherapien der richtige Weg zur Heilung?

Ich verstehe sie als eine erste Annäherung an Inhalte geistiger Welten. Umfassende innere Arbeit geht jedoch viel tiefer. Sie zielt darauf, Identifikationen mit fremden Inhalten von authentischen der eigenen Seele unterscheiden zu lernen. Und sie bezieht auch überpersönliche Ebenen ein, beispielsweise geistige Inhalte aus der jeweiligen Kultur, die Menschen prägen und unfrei machen.

Warum lassen Menschen zu, dass die stressige Arbeitswelt über E-Mails und Blackberrys auch noch in die Freizeit hineinsickert?

Diese Zustände schwappen von Japan und den USA nun auch zu uns herüber. Die Wirtschaft frisst die Seele auf. Im Begriff »Humankapital« findet diese Entwicklung ihren zynischen Ausdruck. Die Menschen machen mit, weil ihre Seele nicht die Kraft hat, sich gegen das Ausströmen und die Manipulation der Außenwelt zur Wehr zu setzen.

Woran liegt das?

Kinder lernen, indem sie Erwachsene nachmachen und deren Denk- und Verhaltensmuster komplett übernehmen. Sie orientieren sich am Außen, an den anderen, an der Masse. Das ist schnell und effizient, aber leider wird dieses Nachahmungslernen später im Erwachsenenalter oft beibehalten. Deshalb haben viele Menschen Schwierigkeiten, eine innere Autonomie zu entwickeln – und dem herrschenden Leistungsdruck eigene Werte entgegenzusetzen.

Wie könnten sie die entwickeln?

Durch eine erwachsene Form des Lernens, die ich »Selbsterforschung« nenne. In der Innenschau entsteht ein Unterscheidungsvermögen zwischen fremden und authentischen, eigenen Inhalten des Geistes.

Wie ist es aus Ihrer Sicht zu bewerten, dass Ruheoasen und Mußephasen wie der arbeitsfreie Sonntag abgeschafft werden?

Für mich ist das ein weiteres Indiz dafür, wie seelische Welten von der Realität getrennt werden. Produktion und Konsum, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Übrig bleiben reiner Materialismus und Verblödung. Wir brauchen für unser Seelenleben immer wieder Ruhezeiten, auch den Sonntag.

Sie haben mit Gut Saunstorf bei Wismar ein modernes überkonfessionelles Kloster gegründet. Wie wird es angenommen?

Es dient seinen Gästen als Ort der Stille, wo man sich ungestört der Innenkehr widmen kann. Die Gemeinschaft der Menschen, die diesen Ort beleben und führen, meditiert zweimal täglich und übt sich in innerer Arbeit. Die Sehnsucht nach Stille in unserer Gesellschaft wächst. Sie ist die innere Bewe- gung der Psyche, um wieder Harmonie herzustellen als Gegenmittel zum Ausströmen. Ein Ort der Stille nährt die Seele. Solche sakralen Orte, welcher Tradition auch immer, werden zunehmend einen essenziellen Wert für die Harmonisierung unserer Gesellschaft haben.

OM C. Parkin
wurde 1962 in Hamburg geboren. Er studierte Psychologie und ist approbierter Heilpraktiker. Schon in jungen Jahren beschäftigte er sich intensiv mit Schamanismus und studierte das Enneagramm. Ein schwerer Autounfall im Jahr 1990 veränderte sein Leben radikal. Seit 1995 gibt Cedric Parkin, der den Namen OM von Shri Poonja erhielt, die Erkenntnis des Absoluten in Form von Gesprächen über das Sein weiter. Als Advaita-Lehrer lehrt er in der Tradition von Ramana Maharshi konfessionsübergreifend den Zugang zur großen Stille. Neben seiner Darshan- und Vortragstätigkeit leitet er eine spirituelle Lebensschule für Erwachsene. Er gründete »Gut Saunstorf – Ort der Stille« als überkonfessionelles Kloster, das Menschen aus allen Traditionen und Gesellschaftsschichten zur Innenkehr und Selbsterforschung einlädt. OM C. Parkin ist Autor der Bücher »Die Geburt des Löwen«, »Auge in Auge mit dir Selbst«, »Donnerschlag und Tempelstille« und der »OM C. Parkin live«- HörBuch-Reihe.

BUCH-TIPP
Parkin, Om C.
Intelligenz des Erwachens. Die spirituelle Neugeburt des Menschen
528 Seiten, € 39,80
ISBN: 9783936718195
advaitaMedia GmbH

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