Der Klang der Traumzeit

Das Didgeridoo im Westen als Heil- und Trance-Instrument

Das Didgeridoo gilt als das Symbol der Aboriginal-Kultur schlechthin. Sein simpler Aufbau – traditionelle Didgeridoos sind hohle Baumstämme von ungefähr 100 bis 200 Zentimeter Länge – täuscht leicht über seine erstaunliche Klangpräsenz hinweg. Die von Termiten ausgehöhlten Bäume müssen von Menschen noch ein wenig nachbearbeitet werden und schon sind sie als Didgeridoo spielbar.

Inzwischen werden Didgeridoos weltweit gebaut und gespielt: Allein in Deutschland sind in den letzten zehn Jahren weit mehr dieser Instrumente verkauft worden, als es Ureinwohner in Australien gibt. In Indonesien werden einfache Didgeridoos in Massenproduktion aus Stämmen gebohrt oder aus Bambus hergestellt. Viele hervorragende Spitzeninstrumente kommen inzwischen von heimischen Instrumentenbauern, die Eichen-, Buchen- oder Birkenstämme in der Mitte teilen, das Holz gezielt bearbeiten und zum Teil sehr gute Didgeridoos daraus erschaffen. Umfassend sortierte Händler wie der Autor und Klangpionier David Lindner, die eine große Auswahl von Termiten ausgehöhlter australischer Originale in exklusiver Qualität anbieten, sind selten geworden.

Bläst man diese hohlen Holzröhren mit einer speziellen schwirrenden Lippentechnik, so entsteht ein überaus faszinierender, ja magischer Klang, der voller Macht direkt auf die Sinneswahrnehmung von Hörer und Spieler einwirkt. Didgeridoo hört (und lernt) man mit Bauch und Herz, weniger mit dem Kopf. Kommt zu seinem obertonreichen Klang noch die sogenannte Zirkulieratmung hinzu, mit welcher der Klang ohne Unterlass gespielt werden kann, ist der Zauber perfekt: Der Klang des Didgeridoos berührt Jung und alt gleichermaßen, er ist unmittelbar zu fühlen – theoretisches Wissen über das Instrument und seine Klangphysik sind für sein tiefes Verständnis nicht vonnöten.

Gerade auch dieser direkte und sinnliche Zugang zu den archaischen und durchdringend tiefen Tönen und Obertönen des Didgeridoos macht es als Therapieinstrument in vielerlei Hinsicht sehr wirkungsvoll:

– Schon kurz nachdem das Instrument im Westen bekannt wurde, setzten Psychologen und Psychiater es erfolgreich in verschiedenen Therapien als Hilfsmittel ein.

– Da das Didgeridoospiel einen steten Lippen- und Lungendruck erfordert, baut sich der sogenannte PEEP (Positive End Exspiratory Pressure) auf, der, begünstigt durch die starke Rückschwingung der Klangsäule im Didgeridoo, für Asthmatiker einen günstigen gesundheitlichen Effekt mit sich bringt.

– Die anfänglich komplexe und ungewohnte Atemtechnik beim Didgeridoo trainiert Muskulatur und Bindegewebe insbesondere auch im Halsbereich. Schnarcher und Schlaf-Apnoeiker (sowie ihre vom nächtlichen Geräuschpegel schwer gestressten Lebenspartner) berichten von signifikanten Verbesserungen.

– In der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern, Behinderten oder Autisten schafft der Klang des Didgeridoos neue Ebenen des Austausches und der Therapie. Ebenso reagieren Schlaganfall-Patienten emotional oft sehr stark auf das Didgeridoospiel.

– Depressive oder in Sinnkrise befindliche Menschen berichten immer wieder von einer klaren Besserung ihrer Befindlichkeit durch das eigene Didgeridoospiel.

– In der Klangmassage (der direkten Bespielung eines Körpers oder Körperteiles) kann die intensive Schwingungdes Didgeridoos Verspannungen und Heilprozesse begünstigen.

Darüber hinaus ist der Klang des Didgeridoos ein extrem wirksames Mittel, um in tranceähnliche Zustände zu gelangen. Für Hörer und – durch die sedierende Wirkung der Physiologie des Spiels – noch viel mehr für die Spieler. Aus neuschamanischer Sicht hat das Didgeridoo ein nicht unerhebliches Potenzial, die Tore zwischen den geistigen Welten zu öffnen. Es ist sinnvoll, dass ein therapeutisch mit dem Didgeridoo arbeitender Mensch praktische Erfahrungen in schamanischer oder zumindest energetischer Heilarbeit mit sich bringt. Die Kraft dieses Instrumentes in der Therapie sollte nicht unterschätzt werden.

Da überrascht es kaum, dass der überwiegende Teil der australischen Ureinwohner schon die Erwähnung des Didgeridoos als Heilinstrument wie einen Tabubruch wahrnimmt und stark ablehnend reagieren. Doch unabhängig von einem Einsatz als Heilwerkzeug kann das Didgeridoo auch „nur“ als Musikinstrument ohne Bedenken von jedem Menschen gelernt und gespielt werden.

Ursprünglich wurde dieses Windinstrument übrigens nur in den nörd-lichen Gebieten Australiens (Arnhemland, Northern Territory, Kimberleys) von den Ureinwohnern gespielt. Dort leben auch die letzten „Hüter des Didgeridoos“, die unter Ureinwohnern wie auch westlichen Fans als die „Weisungsbefugten“ in Fragen der traditionellen Verwendung des Didgeridoos gelten.

Das Didgeridoo, so wurde lange vermutet, ist das älteste Blasinstrument der Welt. Neuste Forschungen legen jedoch ein Alter von ungefähr 1500 Jahren nahe – was seine Klangkraft nicht schmälert. Es hat bei den Ureinwohnern Australiensverschiedene Namen, abhängig von Region und Verwendung: Yedaki, Yidaki, Mudburuja, Ilpirra und Mako sind nur einige davon. Inzwischen hat sich weltweit der Begriff „Didgeridoo“ etabliert und wird vielerorts auch von den indigenen Australiern verwendet.

Zu den großen Legenden- und Mythenbildungen rund um das Kultinstrument gehört die pauschale Aussage: Frauen dürfen das Didgeridoo nicht spielen, die von Westlern oft kritiklos in unseren Kulturkreis übertragen wird.

Tatsächlich gibt es sehr verschiedene Verwendungsmöglichkeiten innerhalb der indigenen Kulturen Australiens. So ist es in manchen Clans Frauen nur bei speziellen Zeremonien oder zu bestimmten Abschnitten ihres Lebens nicht erlaubt, das Didgeridoo zu spielen – zu anderen Zeiten oder Anlässen jedoch sehr wohl. Die strengsten Tabus existieren in Regionen, wo das Didgeridoo erst seit einigen Jahrzehnten gespielt wird, und es gibt viele Aborigines, die das Didgeridoospiel auch Frauen beibringen. So heißt es einmal, das Didgeridoo könne Schwangerschaften begünstigen, ein anderes Mal, dass es schwangere Frauen nicht spielen sollen, da es abtreibend wirkt.

Beides kann man bei jeglicher Klangbehandlung, also auch zum Beispiel mit Klangschalen, die auf dem Unterleib angespielt werden, feststellen: Schwingungen öffnen und lösen energetische wie körperliche Blockaden (zum Beispiel in der Klangmassage), können also zur Empfänglichkeit beitragen. Und starke Schallwellen können in den ersten Wochen der Schwangerschaft, in denen sich der Fötus noch nicht fest genug gebunden hat, in seltenen Fällen womöglich zu dynamisch wirken.

So geht das Didgeridoo in der Musik, der Baukunst wie in der Therapie im Westen ganz eigene Wege. Solange dieser Weg nicht ursächlich mit der Kultur der Aborigines verknüpft wird, sondern als etwas eigenes erlebt und gelebt wird, findet dies sogar den Zuspruch seiner Hüter aus der Traumzeit.

Weitere Informationen unter:
www.australien-didgeridoo.info

BUCH-TIPP
David Lindner
‘Traumzeit – Das Geheimnis des Didgeridoo’
242 Seiten, Inklusive Lern-CD, € 22,85
ISBN 978-3-933825-40-7
Traumzeit

BUCH-TIPP
David Lindner
Die Neuen Didgeridoos
72 Seiten, mit Musik-CD, € 22,00
ISBN 978-3-933825-13-1
Traumzeit

BUCH-TIPP
Djalu Gurruwiwi, Charlie McMahon, Fred Hageneder, David Lindner u.a.m.
Das Didgeridoo-Phänomen
290 Seiten, € 26,90
ISBN 3-933825-24-7
Traumzeit