Heilung als Chance

Es gibt Geschehnisse, die uns bis auf die Grundfesten erschüttern. Schwere Krankheit, der Verlust eines geliebten Menschen. Schicksalsschläge werden sie genannt. Schicksal, weil sie unkontrollierbar sind und uns machtlos machen; Schläge, weil sie unerwartet kommen und oft schmerzhaft sind.

Besonders schwer ist es, wenn Menschen etwas zustößt, das sie bis dahin zu beherrschen meinten. So erging es Ronald Vogelsang, Physiotherapeut. Er war in Shiatsu und Feldenkrais ausgebildet und erlernte die Kunst des Zen. Seine Fortbildungen waren von dem Wunsch getragen, Menschen soweit wie irgend möglich in seiner Ganzheit erfassen und behandeln zu können und das Geheimnis von Krankheit und Gesundheit zu entschlüsseln.

Nach 10 Jahren selbständiger Berufspraxis als Körpertherapeut geschah dann das völlig Unerwartete: Ronald Vogelsang erlitt im Alter von 42 Jahren einen Schlaganfall.

Im Nachhinein schreibt er über diesen Schicksalsschlag:
„Natürlich habe ich mich gefragt: Habe ich etwas falsch gemacht? Habe ich mich jetzt selbst disqualifiziert? (…) So oft ich mir diese Frage gestellt habe: Ich fand keine eindeutige Antwort. Denn es ist gar nicht so leicht zu erkennen, ob das, was mir passiert ist, nun gut oder schlecht für mich ist. Wir sind geneigt zu glauben, dass es gut ist, wenn die Geschehnisse mit unseren Wünschen übereinstimmen und schlecht, wenn die Dinge anders laufen, als wir geplant haben. Wenn uns eine Krankheit erwischt, die unsere Lebenspläne über den Haufen wirft, die uns in Not bringt, an der nichts, aber auch gar nichts gut zu sein scheint, dann bekämpfen wir sie in einem ersten Impuls. Aber die Natur des Lebens ist die Veränderung, nur durch Veränderung kann das Leben weiter bestehen. Auf den Tag folgt die Nacht, auf Regen Sonne, auf den Winter der Frühling. Das braucht Mut und Vertrauen in die Kraft und Weisheit des Lebens. Und es braucht Demut ,anzuerkennen, dass es etwas gibt, das wir nicht beherrschen können, weil es unser Wissen und unsere Weisheit übersteigt. Ich will damit nicht sagen, dass wir einen Verlust, sei es der Verlust unserer Gesundheit oder eines geliebten Menschen, nicht betrauern sollen. Denn mit der Trauer erkennen wir auch die Realität an, dass wir dem Wandel des Lebens gegenüber machtlos sind. Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Denn wenn wir stehen bleiben, besteht die Gefahr, dass sich unsere Trauer in Groll und Verbitterung verwandelt. Nach diesem Schritt folgt die Annahme dessen, was ist und der Akt des ‚Friedenschließens‘ mit der Realität. Dann kann Heilung geschehen, selbst wenn am Ende der Tod steht.“

Ronald Vogelsang konnte zu guter Letzt einen neuen Blickwinkel auf seine Krankheit gewinnen. Er entfernte sich von Selbstverurteilung und gängigen Ansätzen der Medizin. Seine Erkenntnisse, die er als Buch verfasst hat, wirken provokant und herausfordernd und sind doch immer voller Respekt und Mitgefühl. Bewusstheit und Achtsamkeit ließen die „ungewollte Realität“, wie er die Erkrankung nennt, zu einer Chance voller glücklicher Momente werden, einer Chance, nicht nur das Leben zurück zu erobern, sondern eine andere, erfüllendere Art von Leben. Vogelsang drückt es so aus: „Glück bedeutet nicht, das zu bekommen, was man sich erhofft oder erträumt, sondern Ja zu sagen – Ja dazu, wie das Leben ist.“

BUCH-TIPP
Ronald Vogelsang
‚Eine ungewollte Realität … und andere glückliche Momente – Vom Schlaganfall zur Praxis der Achtsamkeit‘
240 Seiten, € 16,80
ISBN 978-3-936360-29-5
Innenwelt Verlag