Das Tor ins Leben

Warum fühlen sich die meisten Frauen unbehaglich, wenn es um ihre intimste Zone geht? Die eigene Vagina, Muschi, Scheide oder Yoni ist der Bereich, der offenbar am stärksten tabuisiert ist und über den man nicht einmal mit seiner besten Freundin spricht. Die Autorin und Verlegerin Grit Scholz setzt sich engagiert für eine natürliche, selbstverständliche Sicht auf die weiblichen Genitalien ein, die mit kollektiven Tabus bricht und ein neues Bewusstsein für das „Tor ins Leben“ eröffnet, durch das wir alle das Licht der Welt erblickten.

„Es fing schon in meiner Jugendzeit an, als sich meine Yoni zu verändern begann und ich das damals mit Grausen beobachtete“, sagt Grit Scholz. „Nachdem sich die Haut dunkel verfärbt hatte und sich seltsame ungleichmäßige Hautlappen gebildet hatten, war ich mir ziemlich sicher, dass mit mir etwas nicht in Ordnung war. Es gab damals niemanden, der oder die mir erklärt hätte, wie eine Vagina sich verändert, wenn Mädchen sich zu Frauen entwickeln. Dass Frau Haare bekommt und anfängt monatlich zu bluten, das war mir bekannt. Aber was für Formen mein Körper an dieser Stelle entwickelte, das hat mich tief erschreckt.“
Mit diesem Problem steht Grit Scholz ganz sicher nicht alleine da – oder warum hassen es die meisten von uns, enge Hosen zu tragen, durch die sich die Formen unserer Geschlechtsteile abzeichnen, oder warum sitzen die meisten Frauen lieber mit brav geschlossenen Beinen, statt – wie viele männliche Vertreter unserer Spezies – breitbeinig ihr sich durch die Jeans abzeichnendes Gehänge stolz und ganz selbstverständlich zur Schau zu tragen? Doch ist es ein Wunder, wenn man sich schämt, wenn selbst unsere Muttersprache mit Begriffen wie „Schamhaare“, „Schamhügel“ oder „Schamlippen“ uns genau hierzu auffordert? Also verbirgt man die eigene Scham und beäugt sie, wenn überhaupt, mit einer gehörigen Portion von Skepsis und Misstrauen.

Anders als die meisten Männer, die sich oft schon als pubertierende Jungs gegenseitig ihr „bestes Stück“ zeigen und mehr oder minder stolz auf ihren Penis sind, kennt Frau gewöhnlich nur die eigene Yoni, einmal abgesehen von ein paar Bildern aus medizinischen Büchern oder schematischen Zeichnungen aus dem Aufklärungsunterricht. Frau prahlt nicht damit, zeigt sie auch der besten Freundin nicht und spricht nur ungern darüber. Die meisten Begriffe, die es dafür gibt, wie Vagina, Scheide, Vulva, Yoni, Möse oder Muschi scheinen uns doch irgendwie unpassend und so erfinden viele Frauen für sich selbst eigene Worte, die keine obszönen oder ungenehmen Assoziationen in uns wecken. Das aus dem indischen Tantra stammende Wort „Yoni“ scheint im Moment noch der positivste Begriff zu sein, zumal die weiblichen Genitalien im tantrischen Kontext als heilig angesehen werden – etwas, von dem unser Kulturkreis auch in modernen und angeblich aufgeklärten Zeiten Lichtjahre weit entfernt ist.

Wie tief der Komplex tatsächlich sitzt und wie sehr er im kollektiven Bewusstsein verankert ist, sieht man, wenn man sich einmal die mangelnde Medienpräsenz der Yoni ansieht. Wenn überhaupt davon die Rede ist, dann immer in ausgesprochen kontroverser Form wie etwa, wenn es um die rituellen Genitalverstümmelungen bei Mädchen und Frauen in Afrika geht. Natürlich ist dies schlimm, entsetzlich und absolut verabscheuenswürdig, aber ist unsere eigene, kollektive Scham nicht auch eine Form von Verstümmelung, die zwar nicht auf der physischen, dafür aber umso intensiver auf der psychischen Ebene stattfindet? In beiden Fällen kann und darf Schweigen und Wegschauen nicht die Lösung sein.

Ein weiteres aktuelles Beispiel mit starker Medienpräsenz ist ein neuer Trend, der gerade aus den USA zu uns hinüberschwappt: Nachdem Brust, Bauch, Beine und Po schon lange im Visier der Schönheitschirurgen standen und Botox- Parties auch bei uns den Tupperabend abgelöst haben, wird Frau jetzt auch vermehrt im Intimbereich durchgestylt. Die so genannte „Vaginalverjüngung“, bei der die Schamlippen je nach Wunsch aufgespritzt, gestrafft oder zurechtgestutzt werden, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Inzwischen werden auch „Rückjungferungen“ angeboten, bei denen das Jungfernhäutchen chirurgisch wiederhergestellt wird, oder „G-Punkt- Verstärkungen“, bei denen der geheimnisvolle Lustpunkt, an dessen bloßer Existenz sich immer noch die Geister scheiden, zur Luststeigerung mit Eigenfett aufgepolstert wird. Ob der Schnitt im Schritt dabei nicht mehr Schaden anrichtet als hilft, wird von Medizinern noch lebhaft diskutiert – aber sollte es uns nicht zu denken geben, dass sich zahlreiche Frauen offenbar so unwohl mit ihrer Yoni fühlen, dass sie glauben, da könne nur noch der Schönheitschirurg helfen, indem er nun auch den Intimbereich mit Skalpell und Fettspritze an imaginäre Traummaße und Wunschvorstellungen anpasst?

Es kann doch nicht angehen, dass Männer – meist durch den Porno-Konsum im Sexkino, im Internet oder in einschlägigen Zeitschriften – weitaus besser über die Vielfalt weiblicher Geschlechtsorgane Bescheid wissen als wir Frauen! Das meint auch Grit Scholz und hat deshalb ihr Buch „Das Tor ins Leben“ herausgegeben, in dem Frau nun durch die Betrachtung großformatiger Fotos die Möglichkeit hat, einmal einen Blick auf die Yonis anderer Frauen zu werfen und so Komplexe und Schuldgefühle abzubauen. „Es soll die Schönheit, Vielfältigkeit und Einzigartigkeit der Yoni gezeigt werden“, so die Autorin. „Ziel dieses Buches ist es, einer breiten Öffentlichkeit eine andere Sichtweise auf die weiblichen Genitalien zu ermöglichen, die außerhalb von pornografischen oder medizinischen sowie außerhalb von religiösen, machtbezogenen und demütigenden Darstellungen liegt.“

Ganz ehrlich: die Bilder erschrecken, verwundern und die Konfrontation mit all den anderen Yonis berührt einen ganz tief im Inneren. Im Gespräch mit der newsage Redaktion erzählt Grit Scholz uns, dass diese Reaktion nicht ungewöhnlich sei und dass genau aus diesem Grund inzwischen auch zahlreiche Therapeuten ihr Buch verwenden, um Tabus aufzubrechen und Komplexe zu behandeln. „Das Betrachten der Bilder stellt einen direkten Weg zur Wurzel des Problems dar“, erklärt Grit Scholz. In dieser Art „Konfrontationstherapie“ könne unser kollektives Trauma nicht länger verdrängt werden. Es sei an der Zeit, zu einem neuen Bewusstsein in Sachen „Yoni“ vorzustoßen oder vielleicht auch zu einem Bewusstsein zurückzufinden, in der das Tor ins Leben die natürlichste Sache der Welt ist.

BUCH-TIPP
Scholz, Grit
Das Tor ins Leben
252 Seiten, € 39,50
ISBN: 978-3-9811805-0-3
Lebensgut