Liebe dich selbst

newsage: Viele Menschen befinden sich auf der Suche nach der Traumfrau oder dem Märchenprinzen und sogar verheiratete Menschen versuchen oft, ihren Partner in Mr. oder Mrs. Perfect zu verwandeln. Wie stehen Sie dazu?
Eva-Maria Zurhorst: Ich persönlich glaube, dass uns das nicht zum Glück führt. In den Anfängen, wenn man seine ersten Gehversuche macht, ist das wunderbar. Wer aber in Sachen Beziehung ein bisschen fortgeschritten ist, sollte den Blick radikal weg vom Prinzen oder der Prinzessin da draußen hin nach innen auf sich selbst lenken. Wenn wir damit anfangen, stellen wir erst einmal fest, dass wir – ob bewusst oder unbewusst – glauben, dass wir es nicht wert sind, geliebt zu werden. Dass wir an uns vieles aussetzen, kritisieren, dass wir uns nicht annehmen, so wie wir sind. Das alles steht unserem Traum von Glück im Wege.

newsage: Ihre Bücher führen immer die „Selbstliebe“ im Titel. Wo ist da die Grenze zum Egoismus?
Zurhorst: Nur was ich an mir angenommen habe, kann ich auch in Beziehung schicken. Viele von uns kennen es, dass da plötzlich jemand ist, der sagt: „Ich finde dich wunderbar“ oder: „Ich liebe dich ganz und gar“. Und wir können das erst einmal gar nicht annehmen. Das liegt daran, dass das nicht mit unseren Glaubenssätzen zusammenpasst. Wenn wir uns nicht lieben können, darf uns auch niemand anderer lieben. Das ist uns nicht bewusst und deshalb ist die Selbstliebe so wichtig. Sie ist die Haltung, mich immer tiefer kennen zu lernen. Dass ich diesen Traumbildern von mir selbst gar nicht entspreche. Dass ich viel Angst, viel Unsicherheit habe. Es geht nicht darum, all das wegzuschleifen, sondern es akzeptieren zu lernen. Das ist jenseits von jedem Egoismus – es hat viel mit Demut, Geduld, ja mit Hingabe zu tun.

newsage: In ihrem neuen Buch geht es um Krisen. Bei meiner eigenen Hochzeit meinte unser Standesbeamte: „Die Ehe ist der Versuch, gemeinsam Probleme zu meistern, die man allein gar nicht hätte.“ Ist da was dran?
Zurhorst: (Lacht) Ich finde den Satz doof. Wenn einer in mein Leben kommt, ist er insofern ein Geschenk für mich, als dass ich an all das, was mir allein sonst verborgen bliebe, überhaupt erst rankomme. Es kommen ja nicht plötzlich Probleme auf, die ich alleine nicht hätte, sondern: Ich kann Widerstände und Ängste sehen, die mir allein unbewusst geblieben wären.

newsage: Wie entstehen Krisen? Sind es immer die großen Dramen?
Zurhorst: Krisen gehören unbedingt dazu. Einfach aus dem Grund, weil wir alle versuchen, Schonhaltungen einzunehmen. Wenn Dinge nicht klappen, versuchen wir sie zu umgehen. Das nimmt uns die Lebendigkeit und Authentizität. Eine langfristige Beziehung ist oft nicht mehr dadurch gekennzeichnet, dass da gestritten wird, es hoch und laut hergeht, sondern die Krise ist oft mehr eine Leere, eine Starre oder Enge. Eine Krise kommt oft, wenn wir uns auf ein Schmalspurleben einrichten, um ja keine Risiken einzugehen oder Herausforderungen anzunehmen.

Wenn wir weglaufen, immer weniger auf uns hören, immer mehr kompensieren, dann kommt oft die Krise und stellt sich uns in den Weg. Wir führen das scheinbar perfekte Leben, aber auf einmal läuft uns der Partner weg und schon haben wir die Kontrolle verloren. Oder wir verausgaben uns ständig, machen und tun, doch auf einmal werden wir krank. Jetzt können wir natürlich sagen: Das Leben spielt uns übel mit, weil uns der Partner wegläuft oder die Krankheit kommt. Oder wir erkennen, dass jetzt genau das auf den Tisch kommt, was wir die ganze Zeit nicht anschauen wollten.

newsage: Wie geht man mit Krisen um? Gibt es Tipps und Tricks, die uns helfen?
Zurhorst: Es gibt drei wichtige Schritte: Der erste ist, den eigenen Widerstand zu bemerken, zu erkennen, was in mir vorgeht, und mich weniger mit der Krise „da draußen“ zu beschäftigen. Man muss den Blick wenden und sich fragen: „Was geschieht mit mir? Welche Gefühle tauchen auf? Welche Glaubenssätze kann ich mir gerade anschauen? Was kann ich hier entdecken?“ Oft glauben wir, wir wüssten Bescheid und hätten alles im Griff. Die Krise zeigt uns aber etwas Neues. Als nächstes müssen wir unsere Gefühle annehmen. Oft kommen in der Krise Gefühle hoch, die mit Schmerz zu tun haben. Schmerz ist blockierte Energie.

Wenn wir uns trauen, den Schmerz zu fühlen, einfach darin zu bleiben und wahrzunehmen, dann verwandelt sich oft etwas. Uns kommen neue Kräfte zu. Das Dritte: Was will ich wirklich? Die Krise kommt oft dann, wenn ich mir Bilder vom Leben zimmere, die mir irgendwer eingeflüstert hat, die aber oft wenig mit echter Erfüllung zu tun haben. Es ist ganz wichtig, sich in der Krise zu fragen: „Ich möchte Liebe und Verbindung, aber führt mich mein Handeln wirklich da hin?“ Oder: „Was in meinem Leben hat mir wirklich Freude und Erfüllung gebracht?“ Es geht um eine Neuausrichtung. Die Krise fordert mich heraus, mein Leben zu ändern. Das ist der wichtigste Schritt. Und den kann man nur alleine gehen.

newsage: Alleine, aber unter Umständen dennoch in einer Partnerschaft…
Zurhorst: Wenn es um die Partnerschaft geht, dann ist die Krise fast immer eine Aufforderung, erst einmal komplett zu sich zurückzugehen und den Partner ganz loszulassen. In der Arbeit nennen wir das „Trennung in der Beziehung“ oder „mentale Trennung“. Den Partner da zu lassen, wo er ist, was immer er auch tut. Die Übung ist, den Kontrollwunsch aufzugeben und zu sagen: „Okay, er geht jetzt fremd. Das tut weh. Ich fühle den Schmerz, aber es geht jetzt darum, mein Leben neu auszurichten.“ Das ist ein bisschen wie in der Suchttherapie. Ich greife jetzt nicht zu dem Suchtmittel, nämlich meinen Partner, sondern ich gehe voran und tue einen Schritt in meinem eigenen Leben.

newsage: Was würden sie den Menschen heutzutage ganz allgemein raten?
Zurhorst: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass die Menschen den Blick wieder nach innen richten, sich selbst kennen lernen. Mittlerweile leben wir in einer Welt in der die Menschen überhaupt keinen Kontakt mehr zu sich selbst haben. Wenn ich so durch die Straßen gehe, sehe ich Menschen, die durchs Leben irren. Die von morgens bis abends von Medien, vom Internet und von Handys berieselt werden, die die ganze Zeit im Außen und überhaupt nicht mehr im Innen sind. Das Fatale ist, dass das Leben dadurch scheinbar immer mehr Möglichkeiten bekommt, weil es mehr Möglichkeiten zu Konsum und Kommunikation gibt. Aber in Wahrheit werden sie immer leerer, unverbundener, kontaktloser und wissen gar nicht warum.

Die Antwort ist: Weil sie den Kontakt zu sich selbst verloren haben. Weil sie nicht mehr still werden können, nicht mehr mit sich allein sein können und keine innere Führung mehr haben. Sie sind völlig orientierungslos. Die meisten Menschen kommen mir vor wie gestrandete Wale, deren inneres Navigationssystem nicht mehr funktioniert. Bei den Walen funktioniert es oft tatsächlich nicht mehr, weil es durch vielerlei Dinge zerstört worden ist. Aber die Menschen haben einfach aufgehört, hinzuhören. Wer wieder anfängt nach innen zu hören, der kann eine Steuerung entdecken, die absolut präzise und kraftvoll ist. Alles macht Sinn, alles rückt an seinen Platz. Man selbst findet seinen Platz. Oft hat das wenig mit den einstigen Bildern zu tun, die man vom Leben hatte. Wenn man sich der inneren Führung wieder öffnet, ist das Leben oft viel erfüllender, authentischer, natürlicher, geborgener und verbundener.

BUCH-TIPP
Zurhorst, Eva-Maria
Liebe dich selbst und freu dich auf die nächste Krise
320 Seiten, € 18,95
ISBN: 978-3-442337-54-5
Arkana HC