Der Pfad des Schamanen

Wir sprachen mit Brant Secunda über seine Lehrzeit beim legendären Huichol-Schamanen Don José Matsuwa, über die Kunst des Träumens sowie über die Bedeutung unserer Verbindung zur Natur.

newsage: Brant, wie lange befindest du dich jetzt schon auf deinem Pfad?
Brant Secunda: 40 Jahre lang. Ich war gerade mal 18 Jahre alt, als ich mich auf den Weg machte.

newsage: In dem Artikel, den du jüngst für newsage (Ausgabe 02-2010) geschrieben hast, erzählst du, dass dich ein Buch von Carlos Castaneda auf den Weg gebracht hat, „Reise nach Ixtlan“.
Brant: Ja, das stimmt. Aber schon vor der Lektüre von Castanedas Büchern war ich sehr an Indianern und der Natur interessiert. Es gab damals eine ziemlich starke „Zurück-zur-Natur“-Bewegung in Amerika. Es war also eine Kombination all dieser Faktoren, die mich zu den Huichol geführt hat.

newsage: Und dort trafst du dann auch deinen Lehrer Don José?
Brant: Nun, zunächst befand ich mich in einem anderen Dorf der Huichol. Aber Don José träumte von mir und ließ mich in sein Dorf bringen. Als ich dort angekommen war, adoptierte er mich als Enkel und fragte mich, ob ich den Pfad des Schamanen lernen wollte. Er sagte, er habe geträumt, dass ich sein Schüler sein würde. Und ich stimmte zu.

newsage: Bei den Huichol scheinen ja die meisten Dinge mit Träumen zu beginnen.
Brant: Ja. Träume spielen in ihrer Kultur und Tradition eine sehr wichtige Rolle. Sie heilen Menschen in Träumen, sie versuchen mit Hilfe von Träumen die Zukunft zu sehen und nutzen Träume als Mittel, um sich selbst zu reinigen.

Brant Secunda absolvierte eine 12-jährige Lehrzeit bei Don José Matsuwa

newsage: Betrachten die Huichol die Welt der Träume also wie manche Stämme der australischen Aborigines als „primäre Realität“?
Brant: Ich weiß nicht, wie das bei den Australiern ist, aber die Huichol sagen, dass man nie so genau weiß, ob ein Traum Wirklichkeit wird oder nicht. Selbst wenn du im Traum eine Botschaft aus der geistigen Welt empfängst, kannst du nicht wissen, ob die Vorhersage eintreffen wird – es gibt dort einfach zu viele verschiedene Wirklichkeiten, die gleichzeitig nebeneinander existieren. Physiker würden wohl von Parallel-Universen sprechen; die Huichol reden von multiplen Wirklichkeiten, die koexistieren – und deshalb kannst du etwas träumen, das dich in dieser Welt gar nicht berührt, zumindest nicht so, wie du vielleicht denkst.

newsage: Verwenden die Huichol auch Praktiken, die ihnen helfen bewusst zu träumen?
Brant:Ja, sie verwenden da sehr viele Techniken, die ich auch in meinen Workshops lehre. Die Huichol fangen schon morgens damit an, um nachts bessere Träume zu haben. Es gibt zum Beispiel verschiedene Reinigungsmethoden, die dabei helfen. Zum Beispiel die Reinigung durch Großvater Feuer – aber es ist sehr schwer, das in Worten zu beschreiben; man muss es den Leuten schon zeigen. Diese Praktiken helfen dir dabei, in deinen Träumen aufzuwachen – das ist das Ziel. Aber es gibt auch besondere Träume, in denen du nicht aufwachst, an die du dich jedoch vollständig erinnerst, wenn du am Morgen erwachst.

newsage: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch der Kontakt zur Natur beim Träumen hilft…
Brant: Ja. Der Schamanismus hat ja auch zum Ziel, eine spirituelle Beziehung zur Natur aufzubauen. Natürlich fördert das auch gute Träume.

newsage: Wie in vielen anderen Kulturen spielen auch bei den Huichol Tiere eine besondere Rolle in Träumen und Visionen?
Brant: Ja, bei den Huichol sind das natürlich die Tiere, die in ihrer Region leben: Pumas, Rotluchse, Hirsche, Kojoten und so weiter. Der Hirsch spielt eine ganz besondere Rolle, da er den Schamanen repräsentiert. Das Huichol-Wort für Schamane ist „Mara´akáme“, was soviel wie „Hirsch-Geist-Person“ bedeutet.

newsage: Diesen Begriff habe ich zum ersten Mal im Buch von Joan Halifax gehört, „Die andere Wirklichkeit der Schamanen“. Dort taucht auch dein Lehrer Don José immer wieder auf.
Brant: Ja, ich stellte ihr Don José damals vor – das ist ganz schön lange her. Don José wurde mit 110 Jahren sehr alt und ich bin, wie er mir sagte, der einzige, der eine volle zwölfjährige Lehrzeit bei ihm absolviert hat. Ich stand ihm sehr nahe, gerade zum Ende seines Lebens hin war ich wohl sein engster Vertrauter, natürlich außer seiner Frau.

newsage: Gibt es bei den Huichol eigentlich heute noch viele Schamanen?
Brant: Nein, nicht mehr so viele. Don José erzählte mir, dass in seiner Jugend etwa die Hälfte aller Huichol Schamanen waren, aber heute ist das anders.

Don José Matsuwa, Huichol-Schamane

newsage: Die Huichol haben eine ausgesprochen reiche Tradition, die du auch mit Hilfe deiner Stiftung zu erhalten suchst.
Brant: Don José und ich haben die Dance of the Deer Foundation einerseits gegründet, um den Menschen in der modernen Welt den Schamanismus näher zu bringen – damit sie die Lehren der Schamanen in ihr alltägliches Leben integrieren können. Andererseits geht es darum, die Kultur der Huichol zu erhalten. So sponsern wir zum Beispiel Pilgerfahrten zu heiligen Kraftplätzen in der Sierra Huichol oder wir ermutigen die Huichol, weiter ihre wunderbaren Kunstwerke herzustellen, die von ihren Träumen inspiriert werden.

newsage: Die visionären Garnbilder der Huichol sind fantastisch. Viele Leute glauben, diese Kunst sei vor allem durch den Gebrauch von Peyote inspiriert…
Brant: Ich wurde zwar auf dem Peyoteweg ausgebildet, doch wie die meisten Huichol verwende ich nie Peyote, versuche aber, durch andere Methoden den gleichen Effekt zu erzielen. Die Huichol nutzen Trommeln, Rasseln, Trance oder Träume, um zu ihren Visionen zu gelangen. Deswegen erwähne ich Peyote gewöhnlich nicht einmal in meinen Artikeln oder auf den Workshops.

newsage: Welche andere Methoden nutzen die Huichol, um zu ihren Visionen zu gelangen?
Brant: Fasten ist eine weit verbreitete Praxis. Oder Pilgerreisen zu Kraftplätzen, wie ich sie in meiner Arbeit ständig weltweit unternehme. Diese Pilgerreisen führen mich in Deutschland zweimal im Jahr auf die Zugspitze. Auch der Mont Blanc oder Kreta stehen auf dem Programm. An diesen Orten veranstalten wir Zeremonien, um die Jahreszeiten zu feiern, wie nächste Woche am Mont Blanc den Frühling, das Erwachen von Mutter Erde. Es geht immer darum, das Leben zu feiern und mit Hilfe der Kraft der Natur Gleichgewicht und Harmonie im Leben zu finden.

Weitere Informationen:
Dance of the Deer Foundation
Utah Dörsch
Tel: 0821-2 43 23 30
E-Mail: schamanismus@huichol.eu
www.shamanism.com