Die kreative Kraft des Wortes

Dass Schreiben nicht nur Spaß machen kann, sondern ein kreativer, ja spiritueller Prozess ist, betont die Autorin und Seminarleiterin Anna Platsch, die mit ihrem neuen Buch „Schreiben als Weg“ eine Art Plädoyer für die Verbindung von Schreiben und innerem Weg hält. Wir sprachen mit ihr über die Hintergründe und Methoden ihrer interessanten Arbeit.

newsage: Gab es für Sie ein Schlüsselerlebnis, das Sie zur Arbeit mit dem Schreiben geführt hat?
Anna Platsch: Als ich Ende 30 war, starb mein erster Mann kurz nach unserer Scheidung. Nach diesem tiefgreifenden Einschnitt in mein Leben wollte ich wissen: Was ist noch offen, was ist noch ungelebt in meinem Leben? Und da erinnerte ich mich daran, dass ich mit elf Jahren Schriftstellerin werden wollte.

newsage: Was Sie ja auch geworden sind. Aber doch ein bisschen anders als die meisten, oder?
Anna Platsch: Ich versuche seit gut zwanzig Jahren das Schreiben mit dem eigenen Entwicklungsweg zu verbinden, nicht nur bei mir, sondern auch bei den TeilnehmerInnen meiner Schreibworkshops.

newsage: Woher kommt dieser spirituelle Zugang?
Anna Platsch: Ich hatte immer eine große Sehnsucht in mir nach etwas, das ich nicht benennen konnte. Wohl aus dieser Sehnsucht heraus lernte ich damals, als ich noch in Berlin lebte, meinen ersten Sufi- Lehrer kennen und mit ihm die Fülle dieses Pfades, der mein Leben ergriff. So ein Weg ist eine Einladung in einen tiefen Transformationsprozess, also nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen, sondern wirklich Transformation: ganze Hingabe und Ablösung des Ichs vom festen Gebundensein an die Identifikation und ein Ankommen in der tiefsten Heimat der Seele.

newsage: In Ihrem Buch sind aber doch viele Anregungen für die Wandlung des eigenen Selbst mit Hilfe des Schreibens gegeben – ist das nicht ein Widerspruch?
Anna Platsch: Überhaupt nicht. Die Verwandlung des Ichs meint in erster Linie die Nichtidentifikation mit demselben. Dass wir als Menschen ein gesundes und kräftiges Ich brauchen, steht außer Frage. Um tief hinter die Welt zu schauen, das Ungetrennte ihrer Natur zu erfahren, ist es gut, fest mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen. Zum Beispiel geht es bei einem „Alles-annehmen-wie-es-Ist“ nicht darum, sich zum Fußabstreifer machen zu lassen, sondern eine radikal offene Haltung allem gegenüber zu haben – und daraus zu handeln. Da gibt es dann keine Identifikation mehr mit den diversen Rollen oder der/ dem Handelnden. Sich davon zu befreien ist großes Glück.

newsage: Die spirituelle Ebene spielt also in Ihrer Arbeit eine bedeutende Rolle?
Anna Platsch: Sie ist die Essenz meiner Arbeit, das Schreiben dient ihr. Ein kreatives Schreiben ist gleichsam das Handwerkszeug, das neue Räume öffnet, abseits der schulischen und gesellschaftlichen Konditionierung. Und das immens Spannende ist, wie tief und einfach uns diese Art des Schreibens auf dem Weg zur Quelle begleiten kann, sogar führen kann. Insofern ist das tiefste Friedensarbeit.

newsage: Wie wird das angenommen?
Anna Platsch: Ich kann das nur von meinen Schreibworkshops her sagen: Die Menschen haben eine Sehnsucht nach Essenzialisierung. Aber solche Seminare sind natürlich Nischen. Ansonsten kommt das Kreative Schreiben selbst erst langsam bei uns an, kommt langsam in die Institutionen. Mittlerweile gibt es nach amerikanischem Vorbild in Berlin die Option, Kreatives Schreiben an einer Fachhochschule zu studieren. Mit offiziellem Abschluss und allem, was dazu gehört. Aber wie gesagt – in meiner Arbeit dient das Kreative Schreiben ja nur als Vehikel für den inneren Prozess. Und der spielt natürlich in unseren Institutionen keine Rolle, weder auf der psychologischen noch auf der spirituellen Ebene. Es ist nicht so einfach, diese Ebenen tatsächlich zu integrieren, davon spricht Ken Wilber ja sehr ausführlich.

newsage: Woher kommt diese Abwehrhaltung?
Anna Platsch: Wenn wir allein auf die Fähigkeiten und den Ausdruck des Schreibens schauen, ist die gesellschaftliche und die schulische Konditionierung im Richtig- Falsch-Denken sicher sehr maßgeblich. Das führt dazu, dass viele Menschen nicht aus ihrer Fülle schöpfen können, weil sie sich zu enge Grenzen setzen. Wenn wir uns hingegen auf das in uns ausrichten, aus dem wir schöpfen, was wir in unserem Innersten sind, bilden sich von alleine die Werte, die wir für unsere zukünftige Welt und eine moderne Spiritualität benötigen.

newsage: Freundlich, fließend und furchtlos! Genau das sind die Schlagworte, die Sie in Ihrem Buch den Lesern mit auf den Weg geben.
Anna Platsch: Unbedingt. Wir brauchen mutige Menschen für eine harmonischere Zukunft. Wie die Herzlichkeit und die Klarheit, gehört der Mut zu den archetypischen Bildern meines Verständnisses von Texten, die uns Antworten geben auf all die offenen Fragen unserer Zeit. Und es wird ja überall geschrieben – in E-Mails, in Nachrichtenreadaktionen, auf Einkaufszetteln, in Schulaufsätzen, in Zeitschriften und Kurzmitteilungen – überall.

newsage: Wie ergeht es denn den TeilnehmerInnen in Ihren Gruppen?
Anna Platsch: Also erst einmal möchte ich sagen, dass ich das Buch so aufgebaut habe, dass man selbst damit arbeiten kann, denn ich gehe davon aus, dass jeder Mensch letztlich selbst am besten weiß, was ihn zum Großen Geheimnis führt. In den Gruppen gibt es so viele unterschiedliche Erfahrungen, wie es Menschen gibt. Und doch lösen sich manchmal gemeinsam alte, konditionierte Blockaden in der Gruppe leichter, öffnen sich Tore, die den Zugang zu einer neuen Sichtweise ermöglichen. Die Gruppenintelligenz spielt dabei eine tragende Rolle und stützt den Einzelnen. Durch das Miteinander schaffen wir einen größeren Raum, in dem sich der Einzelne weiterentwickeln kann.

newsage: Für wen haben Sie denn Ihr Buch geschrieben?
Anna Platsch: Sowohl für die Menschen, die gerne schreiben, und damit einen Zugang haben zu diesem speziellen „Fahrzeug“ auf dem Weg zu sich selbst, als auch für die Menschen, die beruflich schreiben, damit sie ihr Schreiben vertiefen können. Stellen Sie sich vor, dass immer mehr Menschen, die schreibend tätig sind, Journalisten, Politiker, Redakteure, Autoren und so weiter, tief angebunden sind an ihr inneres Menschsein – welche Wandlung das bedeuten würde für unserer Erde.

newsage: Was meinen Sie mit „Angebundensein“?
Anna Platsch: Wo in uns entsteht das Wort? Erwächst es aus unseren Eigeninteressen? Schreibe ich es, um etwas zu erreichen? Manipuliere ich? Oder erwächst es aus einem stillen Raum im Herzen? Dieser stille Raum ist unsere Lebensquelle; wenn wir aus ihr schöpfen, sind wir „angebunden“ an das Leben selbst. Und das wird einen enormen Unterschied machen in der Wirkung des Textes. Unser Bewusstsein ist ein stetiger, schöpferischer Akt und wir sind alle befähigt, diese göttliche Kreativität auszudrücken – auf ganz eigene Art und Weise.

newsage: Welche einfache Übung würden Sie unseren Lesern empfehlen? Wie kann man von dieser intuitiven Seite im Rahmen des Schreibens kosten?
Anna Platsch: Eine simple, aber äußerst intensive Übung ist folgende: Schreiben Sie einen zweiseitigen Text über ihre Kindheit und lesen Sie ihn sich anschließend selbst einmal laut vor. Und dann untersuchen Sie, ob es Stellen gibt, wo Sie sich als Opfer sehen oder beschreiben. Versuchen Sie nun, den Text umzuschreiben, so lange bis Sie alles Opfer-Sein hinter sich gelassen haben, Sie wirklich frei sind.

newsage: Es wäre doch auch toll, wenn sich dieses Bewusstsein um unsere wahre Natur in den öffentlichen Raum übertragen würde…
Anna Platsch: Das ist zumindest unsere große Aufgabe für die Zukunft. Aber allein schon die Bereitschaft, sich mit psychologischen Themen zu beschäftigen, ist noch längst nicht selbstverständlich. Die spirituelle Ebene ist da noch ein viel weiterer Schritt. In fast all unseren herkömmlichen Institutionen, Schule, Universität, Theater, Politik und so weiter, ist ja dieser zentrale Aspekt unseres Daseins ein Tabuthema. Dabei brauchen wir neben der mentalen und der psychologischen auch eine spirituelle Intelligenz, um die aktuellen Probleme unserer Welt zu lösen. In den letzten Jahren geschieht da allerdings abseits der Institutionen eine Bewegung, in der sich viele Menschen ihres nondualen Bewusstseins gewahr werden und aus diesem Gewahrsein heraus ihr schöpferisches Potenzial in die Welt geben.

newsage: Und Ihr Buch und Ihre Schreibwerkstätten tragen ebenfalls dazu bei?
Anna Platsch: Die Kraft des Wortes ist ungeheuerlich und sich ihrer bewusst zu werden, gibt uns den Raum für eine kraftvolle Weiterentwicklung, individuell als auch gesellschaftlich.

Weitere Informationen:
www.annaplatsch.de
www.koha-verlag.de

BUCH-TIPP:
Anna Platsch
‚Schreiben als Weg – Von der kreativen Kraft des Wortes‘
200 Seiten, € 16,95
ISBN 978-3-89901-243-9
Theseus