Ab in die Vertikale

Ab in die Vertikale

Nennen wir sie Anna. Das passt auch. Anna, also, ist Anfang 50. Sie ist hübsch. Schlank. Und Anna wirkt ein bisschen fahrig. Sie hat leichte Fältchen um Augen und Mundwinkel. Anna ist Psychologin. Sie therapiert seit 25 Jahren das Unglück: die Untreue, Ängste, Sehnsüchte und Verzweiflungen. Hunderten von Patienten hat sie zugehört, diente als »Müllhalde«, hat versucht, Leben lebenswerter zu machen.

Ab in die Vertikale»Dabei habe ich viel Schrott verfrachtet«, erzählt sie. »Viele Therapieansätze funktionierten auch gut. Den Patienten ging es ganz häufig viel besser nach den Sitzungen. Aber eigentlich hantieren viele Therapieansätze an der Oberfläche herum. Vielleicht ein paar Schichten darunter. Aber die wirkliche Wurzel ist schwer zu kriegen«. Und genau deshalb möchte sie nicht, dass ihr wirklicher Name hier auftaucht.

Anna ist Seminar-Hopperin. Sie hat schon die verschiedensten Therapieausbildungen gemacht, Selbsterfahrungsgruppen, Eigentherapie. Sie hat alles ausprobiert: mit einem Tennisschläger auf ein Kissen gedroschen und dabei ziemlich wüstes Zeug gebrüllt, ihre Oma im Mohr ersäuft – natürlich nur in einer Imaginationsübung – oder in Schwitzhütten auf Großartiges gewartet. Sie wollte an die Wurzel gelangen. Eine Frage beschäftigt sie seit »Ewigkeiten«: Was macht Menschen unglücklich und warum verändern sich bestimmte Muster auch bei ihr selbst kaum?

Ruhe und Gelassenheit

Neun Tage dauert das Einstiegs-Seminar beim Clarity-Process. Anna sitzt mit sieben Frauen und zwei Männern auf Meditationskissen in einem Halbkreis der Leiterin gegenüber: Dr. Jutta Rödel. Eine Frau, die das Unglück offensichtlich hinter sich hat. Sie wirkt nicht ruhig – sie ist ruhig. Sie strahlt eine Gelassenheit und Souveränität aus, dass die Seminarteilnehmer ihre eigene Unruhe schnell vergessen. Jutta ist Zahnärztin, in den 50-ern. Sie strahlt von innen heraus. Mit ihren gerade mal etwas über 1,50 Zentimetern hat sie die Ausstrahlung eines Baums. Ihre Stimme ist voll, warm und echt. Da schwingt kein kleines Mädchen mit, auch kein esoterisches Getue. Es ist ihre wahre Stimme, vielleicht sogar die Stimme ihres Herzens.

Anna spürt mal wieder, dass es mehr gibt als Ledersofa, Paartherapie und Wurzel-Chakra. Sie spürt, dass es hier um mehr geht – es geht um Methoden, die zum wahren Wesenskern führen. Und zu echter Spiritualität. Sie sitzt einer Frau gegenüber, die genau so alt ist wie sie, unendliche Ruhe und Kraft ausstrahlt, so etwas wie Liebe nach außen trägt und dabei ihr Leben ganz offensichtlich in vollen Zügen genießt.

Seminarleiterin Jutta hängt das Foto eines Eisbergs an die Tafel. »Das hier oben ist unser Tagesbewusstsein – wenn überhaupt. Und dieser Riesenklotz hier unten ist unser Unterbewusstsein. Und genau darauf wollen wir in Zukunft nicht mehr so viel hören.« Schritt für Schritt und sehr anschaulich erklärt sie, warum Annas Leben und das der anderen trotz der vielen Bemühungen und Ausbildungen immer noch häufig von Ängsten, Leid und Enttäuschungen bestimmt ist.

Reine Intelligenz

»Wir werden als reine Intelligenz geboren. Die Festplatte ist sozusagen noch frei. Doch spätestens mit der Geburt wird diese Festplatte den genetischen Bedingungen entsprechend beschrieben, bis sie nach ungefähr vier Jahren voll ist. Dann hat sich das Kind den äußeren Umständen angepasst und entschieden, welche Strategie sein Überleben am besten sichert. In seiner vollkommenen Abhängigkeit hat das Kind herausgefunden, wie es am meisten Liebe, Aufmerksamkeit und Nahrung bekommt. Es entscheidet, ob es intelligent, aggressiv, schüchtern oder sogar attraktiv sein wird. Es entwickelt lebenswichtige Strategien und Muster. Die meisten Erwachsenen folgen diesen Strategien bis zu ihrem Tod. Sie versuchen unter allen Umständen beispielsweise intelligent zu wirken, geben sich unnahbar usw.

Strategien erkennen

Dass es für Anna und alle anderen gar keinen Grund mehr gibt, diesen Strategien als Erwachsene zu folgen, wird im Laufe der neun »Clarity-Tage« immer klarer. In einfachen Übungen sollen die Teilnehmer ihre Strategien erkennen und langsam auflösen. »Ich beobachte mich« erklärt Jutta. Wer ist »ich« und wer ist »mich«?« Über den Verstand sollen die Teilnehmer ins Spüren kommen. Die Wurzel des Übels, die Quelle der Strategien, liegt im Unterbewusstsein, ist gespeichert in jeder Zelle des Körpers.

Viele Übungen finden in Zeitlupe statt. Tempo rausnehmen, Zeit für die Sinne finden. Fühlen, Riechen, Schmecken, Hören und Sehen: über die Sinne die Realität begreifen, wie sie tatsächlich ist und nicht, wie sie sein sollte, oder wie sie das Unterbewusstsein gern hätte.

Bewusst atmen

Das Seminar findet im hessischen Bad Zwesten statt, in einem Hundert Jahre alten Seminarhaus, umgeben von einem herrlichen Park und einem gewaltigen Waldgebiet. Wann immer es Sinn macht, finden die Übungen draußen statt. »In der Natur gibt es kein Problem. Die Quelle für Weisheit ist die Natur«, erklärt Jutta. »Schaut eure Probleme an, wie sie wirklich sind. Beobachtet euch. Und atmet!«

Immer wieder ermuntert sie ihre »Schützlinge«, bewusst zu atmen. Es gilt, der Gedankenmühle Einhalt zu gebieten. Auch in Annas Oberstübchen rattert es ohne Unterlass. Am vierten Tag ist sie kurz verzweifelt: »Ständig denke ich irgendeinen Unsinn; die Gedankenmühle steht niemals still: Was denken die anderen von mir, mögen sie mich, die können alles viel besser …«, und so geht es allen im Seminar. Juttas Aufgabe ist es jetzt, den Teilnehmern beizubringen, dass sie auf dieses »Blasorchester in ihrem Kopf« nicht mehr hören müssen. Sie dürfen ab sofort Distanz schaffen zwischen dem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein, dem Ego, der Sorgenmaschine, diesem Leibwächter im Kopf, der ständig denkt angegriffen zu werden oder in Verteidigungshaltung sein zu müssen.

Das innere Kind erkennen

Die Tage beginnen morgens um sieben entweder mit leichten Yogaübungen oder dem sogenannten QLB: Quantum Light Breath, der Elementarteilchen-Atmung, wie Jeru Kabbal, der Gründer von »Clarity« diese Technik nannte. Eine Stunde lang wird zu passender Musik der Stimme des Mystikers per CD gelauscht. Nach einer allgemeinen Einführung in die bewusste tiefe Atmung folgt im Rhythmus schneller Musik die heftige Atemphase. Spätestens in der anschließenden ruhigen, tiefen Phase dringen Teile des Unterbewusstseins an die Oberfläche.

Abbildung links: Gemeinsam in die innere Vertikale zu kommen bringt Nähe, Ruhe und tiefen Frieden. Abbildung rechts: Praktische Übungen lenken weg von der Verstandesaktivität hin zu Erleben, Einsicht und ganzheitlichem Verstehen.
Abbildung links: Gemeinsam in die innere Vertikale zu kommen bringt Nähe, Ruhe und tiefen Frieden.
Abbildung rechts: Praktische Übungen lenken weg von der Verstandesaktivität hin zu Erleben, Einsicht und ganzheitlichem Verstehen.

Viele Teilnehmer weinen oder lachen und geben sich einfach ihren Gefühlen hin. Schon nach wenigen Tagen ist die Gruppe eine eingeschworene Gemeinschaft – Hemmungen gibt es kaum noch. Bei einigen Teilnehmern hat man das Gefühl, sie wären schon ewig befreundet. Nach einer Stunde QLB ist auch der letzte Morgenmuffel gut drauf. Nach dem Frühstück geht´s von neun bis eins immer wieder ums Unterbewusstsein. Dialoge mit dem inneren Ich und behutsame Körperarbeit sollen Strategien, Rollen und Masken erkennen lassen. »Nur wer sein inneres Kind kennt, es versteht und vor allem lieben lernt, kann Verhaltensmuster auflösen«, beschreibt Jutta den »Weg zur Freiheit«, wie sie es nennt. Und wenn jemand an seine Grenzen stößt, findet Jutta immer die richtigen Worte, muntert auf, kann scheinbar durch die Menschen hindurch sehen. Für Anna ist Jutta die »Meisterin der Herzen«.

Das Hier & Jetzt

Bis 16 Uhr ist Mittagspause. Nach Kaffee und Kuchen geht es locker weiter, alles immer sehr entspannt und souverän geleitet von Jutta. Nach dem Abendessen von 19 bis 20 Uhr wird wieder tief ins Unterbewusstsein eingetaucht. Situationen aus der Kindheit werden in Übungen, die jeder leicht versteht, hervorgeholt und bearbeitet. Im Laufe der neun Tage wird immer deutlicher, dass alle Sorgen, Ängste aus der Vergangenheit sind. Und nach vielen Übungen, die sich nur mit dem Hier und Jetzt beschäftigen, ist allen im Kurs klar, dass es die Vergangenheit nicht gibt und sich keiner nach ihr richten muss. »Und die Zukunft kommt sowieso nie,« lacht Jutta. Die Teilnehmer haben nicht nur verstanden, dass es nur das Hier und Jetzt gibt; sie haben es gefühlt. »Und dieses Fühlen steckt im Körper«, garantiert Jutta. »Und euer Körper lügt nie!«

Wie Millionen von Menschen ging es bisher auch Anna. Sie stand sich häufig selbst im Weg, sah Probleme, wo keine waren, malte sich Dinge aus, die nichts mit der Realität zu tun hatten, und geriet immer wieder in Situationen, in denen sie niemals landen wollte. Clarity könnte der Anfang vom Ende dieser Misere sein. Es könnte der neue Weg sein.

Dankbarkeit und Liebe

Nach sehr intensiven neun Tagen »Clarity-Process« stellt Anna verblüfft fest: »Ich bin so tief wie noch nie in die Vertikale gekommen. Und es gab ganz kurze Momente, an denen ich mal an der Freiheit geschnuppert habe, sie kurz erlebt habe.« Sie hat ihren Weg gefunden, so scheint es. Jetzt muss sie nur dranbleiben, das Erlernte anwenden und dem Gedankenapparat nicht zu viel Beachtung schenken.

Zum Schluss schenkt die Gruppe Jutta ein Gebinde aus Zweigen, Farnen und Moosen, aus Tannenzapfen, Blättern und Baumfrüchten. Und Jutta weint – aus Dankbarkeit und Liebe…

Jutta Rödel über sich selbst:
»Als ich ein kleines Mädchen war, schob ich oft meine Hand in die anderer Menschen und lächelte sie an. Ich war offen! Im Laufe der Jahre entwickelte ich mich zu einem unsicheren, verschlossenen und ängstlichen Menschen, bestimmt durch die Angst, anderen nicht recht zu sein. Äußerlich betrachtet war ich erfolgreich, doch die Verbindung zu meinem Inneren hatte ich verloren. 1993 begann mein spiritueller Weg, auf dem ich viel erlebte. Ich begann:

  • mit Seminaren bei Art Reade (Indianer/USA)
  • Kurse bei Simone Sommer
  • Familienstellen nach Hellinger
  • Trainerin der »Living University« bei Hendricks
  • Seminare bei Anthony Robbins
  • und schließlich die Ausbildung bei Jeru Kabbal im Clarity-Process

Im Clarity-Process verwandelte sich mein inneres Erleben. Ich wurde mit meiner Vergangenheit ausgesöhnt, erlebte die Begrenzungen meiner Vorurteile anderen gegenüber und wie ich mich selbst eingesperrt hatte. Durch die Jahre mit Jeru Kabbal erlebte ich die Einzigartigkeit eines jeden Menschen auf einer tieferen Ebene, erfuhr das Glück von Verbundenheit. Das Erleben von Gefühlen wie Scheu, Zweifel und Unsicherheit verwandelte sich fast unmerklich in Sicherheit, Vertrauen, Offenheit und Mut. Es ist mir ein Anliegen, das weiterzugeben, was ich gelernt habe, damit viele Menschen erkennen, was sie in ihrem tiefsten Inneren sind.«

Seit 1999 ist Jutta Rödel Trainerin für den Clarity-Process.
Sie arbeitet außerdem als Zahnärztin in eigener Praxis für ganzheitliche Zahnmedizin in Ulm.

Weitere Informationen
Dr. Jutta Rödel
Furnersch Hus 31
CH-7075 Churwalden
Tel.:0041-81-3562391
jutta@clarity-process.ch
www.clarity-process.ch
und Olgastrasse 62, D-89073 Ulm
Tel.: 0731-66190, jutta@clarity-process.de