Die Merowinger

Lange Zeit wurden die Merowinger von den Geschichtswissenschaften stiefmütterlich behandelt. Von rohen Barbaren, die keine größere Rolle in den Geschicken der europäischen Kultur spielten, liest man da. Doch umso mehr sich die Wissenschaft für neue Erkenntnisse öffnet und bereit ist, einmal Konstatiertes zu revidieren oder Geschriebenes neu zu interpretieren, umso mehr erfahren wir, wie reich und wirkungsvoll das Leben unserer Ahnen war.

Die Geschichte wird stets von Siegern geschrieben – daher ist sie nicht immer so unparteiisch wie gemeinhin erwünscht. Im Falle der Merowinger sind es vornehmlich die Römer, die die Menschen nordwärts der Alpen als Barbaren bezeichnen – besonders, nachdem sie dort von diesen doch wehrhaften Völkern vertrieben wurden und die Herrschaft über das Gebiet verloren. Der Zeitraum zwischen dem Verfall des römischen Reiches im 5. Jh. n. Chr. und der Konsolidierung des Christentums in Europa liegt im Dunkel und ist doch eine äußerst wichtige Schnittstelle zwischen dem neuen und dem alten Glauben unserer Kultur. Nach der Einführung des Christentums sollten die Westeuropäer allmählich vergessen, dass sie Erben einer großen spirituellen keltisch-germanischen Staats- und Religionstradition waren. Die zeitgenössischen Chronisten standen den geistigen Werten der „Heiden“ ablehnend gegenüber – besonders die Kirche, welche die Kunst des Verfassens von Chroniken übernahm und von da an den Schatz der Erinnerung in eigener Interpretation wiedergab. Christliche Mönche wurden ausgesandt, um zu missionieren und ihre monotheistische Religion ließ „keine anderen Götter“ zu. So wurde im Zuge der Christianisierung falsch verstandenes Heidentum ins Reich der Mythologie und des Aberglaubens verbannt und – hier auch seitens der Römer – etliche Heiligtümer zerstört oder mit eigenen Sakralbauten überbaut.

Abbildung einer Merowinger-Fibel, gefertigt aus Gold, Glas und Edelsteinen. Eine Fibel (lateinisch „fibula“ = Nadel) ist eine schmückende Gewandnadel, die als Sicherheitsnadel fungiert. Erste Formen gab es schon in der Bronzezeit. Fibeln wurden bis ins hohe Mittelalter verwendet. Gefunden wurde dieses Schmuckstück auf dem Merowinger-Friedhof Blondefontaine, Frankreich.

Ganzheitliche Geschichtsforschung
Die Autorin Usch Henze hat sich jahrelang auf Spurensuche begeben, um das spirituelle Erbe der Merowinger zu erkunden. Im Zuge ihrer Recherchen für ein Buch über die Externsteine stieß sie auf viele Ungereimtheiten in den Geschichtsbüchern. Als sie das Volk der Sugambrer, Vorfahren der Merowinger, näher erforschte, geriet sie in den Bann einer der faszinierendsten Dynastien jener Zeit. Mithilfe neuer Ansätze der Geschichtswissenschaften, durch die historische, archäologische und genealogische Forschungen stetig hinzukommen und eine Neubewertung erfordern, hat sie inzwischen einen unschätzbaren Beitrag zur Vervollständigung des historischen Bildes der Merowinger geleistet. Mit einem feinen Gespür für verborgene Zusammenhänge suchte die Autorin auch in Legenden und der Mythologie nach Hinweisen, um zueinander passende Bausteine zu finden. „In jeder Legende steckt ein Körnchen Wahrheit; Sagen und Legenden beinhalten Allegorien, die auf eine Entschlüsselung warten“, schreibt Henze. Und sie ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen: Auch ihre Intuition und ihr Wissen über andere spirituelle Kulturen, das sie u.a. auf Reisen durch Südeuropa, Ägypten und Mexiko gesammelt hat, nutzte sie, um ihre „ungewöhnliche Richtung“ der Spurensuche einzuschlagen, wie sie im Interview erzählt. Letztendlich wurde aus ihrer Forschung damit auch ein Stück Selbsterforschung und Identitätsfindung. Für sie stellte sich heraus, dass keine Erinnerung im Universum verloren geht, sondern auf verschiedene Weise abgerufen werden kann. Ob man von Reinkarnation, Déjà-vu oder Akasha-Chronik spricht: Immer mehr Menschen machen Erfahrungen mit der Macht der Erinnerung, die unter Umgehung des Alltagsbewusstseins für uns zugänglich werden kann.

Direkte Vorfahren
Als direkte Vorfahren der Merowinger gelten die Sugambrer, die unter den keltischen Galliern Frankreichs und den germanischen Stämmen um das Rheingebiet erschienen. Man vermutet, dass sie bereits 400 v.Chr. als Könige der Kimmerer am Schwarzen Meer im Reich der Skythen geherrscht haben. Danach trifft man an der Mündung des Rheins erneut auf ihre Spuren, nachdem sie über Pannonien eingewandert sind. Zur Zeit Christi Geburt nennen sie sich, nach ihrem König Francus, Franken, „die Freien“, und vereinigen die germanischen Stämme im Kampf gegen die Römer. Neben ihrer Unerbittlichkeit gegen die Römer waren die Sugambrer Hüter spiritueller Geheimisse, in die sie ihresgleichen einweihten. In der Dynastie der Merowinger wird dieses Wissen weitergetragen und ergänzt.

Dieses in christlicher Zeit als Hostienteller genutzte Tablett aus Gold (19,5 cm x 12,5 cm, 1,6 cm tief) war Teil eines merowingischen Tafelgeschirrs aus der Zeit um 500 n.Chr. In ihm spiegeln sich germanische, romanische und christliche Einflüsse. Der flache Rand und der Innenteil ist mit Granat und Türkissteinen geschmückt. (Teil des „Schatzes von Gourdon“, östl. Frankreich).

Die Legende zum Gründer des Königsgeschlechts der Merowinger besagt: König Chlodio begab sich einmal im Sommer mit seiner Gattin Basina an den Meeresstrand. Als seine Gemahlin zum Baden ins Meer ging, wurde sie von einem Meerungeheuer mit Stierkopf angefallen. Danach gebar sie einen Sohn mit dem Namen Meroveus, nach dem später die Könige der Franken Merowinger genannt wurden.

Die Merowinger
Die Merowinger regierten ein multi-ethnisches Reich, das von einem reichen okkulten, spirituellen Wissen geprägt war. Ihre geistige Tradition wurde ihnen vielfach als verwerfliche Magie ausgelegt. Es hieß, die Merowinger pflegten Umgang mit alten Symbolen und Gegenständen der Zauberei. Sie trugen einen magischen goldenen Reif um den Hals, den „Torques“, und ihre langen Haare waren ihr Erkennungszeichen. Ihre Könige wurden nicht gekrönt und nicht gesalbt. Vielmehr bestand ihre Herrschaftswürde durch Geburt und die ursprünglich durch Einweihung in alte heidnisch-druidische Riten. Die Verbindung zu den ansässigen Kelten, mit ihrer Priesterschaft der Druiden, und den germanischen Stämmen ist nicht die einzige Verzweigung, die ihren Stammbaum ausmacht. Bis in das alte Griechenland und den Vorderorient lassen sich ihre Spuren verfolgen. Geht man davon aus, dass das Keltentum Britanniens von der atlantischen Kultur geprägt wurde, könnten die traditionellen Wurzeln hier sogar noch weiter reichen; eine vor-indoeuropäische – nämlich atlantische – Kultur, die sich vom Westen Europas ausgebreitet hat, ist seit jeher ein Erklärungsmodell in der Geschichtswissenschaft.

Dieser Kelch stammt aus dem „Schatz von Gourdon“, ca. 524 n.Chr. Das Fundstück zeigt die typischen merowingischen Schmuckelemente.

Edle Vorfahren
Antike Schriften und Chroniken behaupten, dass die Merowinger vom alten Königsgeschlecht der Trojaner abstammen – eine Theorie, die unter Historikern heftig diskutiert wird. Ihr „arkadisches Erbe“, das ihnen nachgesagt wurde, spiegelt sich auch in der Namensgebung eines ihrer bedeutendsten heiligen Gebiete wider, den Ardennen, die nach Arkadien benannt wurden. Die Arkadier Griechenlands, von der Halbinsel Peleponnes stammend, werden in verschiedenen Quellen als die Gründer Trojas bezeichnet. „Arkades“ bedeutet Bär und sowohl in Griechenland als auch im Merowingerreich gab es einen Bärenkult, der besonders mit weiblichen Gottheiten in Verbindung stand. Arkadien wurde außerdem von jeher immer wieder als Land irdischen Friedens und Glücks bezeichnet, eine Art Utopia, das in Kunst und Lyrik ein beliebtes Thema darstellte.

Zu alledem gibt es eine weitere vermutete Verbindungslinie zu den Merowingern, die unlängst spektakulärer ist: nämlich zu Maria Magdalena und Jesus – der in dieser Geschichtsversion freilich nicht am Kreuz gestorben ist. Legenden besagen etwa, dass Maria Magdalena – allein oder auch mit Jesus – in Frankreich Zuflucht vor Verfolgung suchte und sogar Nachfahren hatte. Zu diesen sollen die Könige der Merowinger gehört haben. In Verbindung mit den Merowinger-Königen wird auch wiederholt von den „Gralskönigen“ und „Fischerkönigen“ gesprochen. Dies ist auf ihre als heilig bezeichnete Blutslinie zurückzuführen, die nahelegt, dass zahlreiche Kreuzungspunkte mit bedeutsamen historischen Persönlichkeiten bestanden.

Spirituelle Weltsicht

Merowinger-Friedhof in der Nähe von Civaux in Frankreich mit der Ruine einer Kapelle, aus dem 5.-8. Jahrhundert.

Das Weltbild der Merowinger war ganzheitlich. Bräuche und Kulte zeugen von einem starken Bezug zur Natur, zum Kosmos. In geheimnisvollen Symbolen, Zahlenmystik und Artefakten, die in Merowinger-Gräbern gefunden wurden, spiegelt sich ein Wissen von kosmischen Zusammenhängen und feinstofflichen Kräften wider. So begegnet Usch Henze z.B. dem Symbol der sechsblättrigen „Blume des Lebens“, das in der ganzen Welt immer wieder auftaucht. Ebenso scheinen die Merowinger Rituale der „Heiligen Hochzeit“ praktiziert zu haben, sowie sich ein starkes schamanisches Element in ihren Kulten findet – mit Reisen in die „Anderwelt“, durch Trance oder Halluzinogene herbeigeführt. „In allen Kulturen war der Schamanismus Teil der Einweihungslehren. Er ist weltweit eine der ältesten spirituellen Traditionen der Menschheit…“, erklärt Henze dazu. Spektakulär war für die Autorin auch die Entdeckung, dass die Merowinger die alte Lehre zur Gewinnung und Zentrierung von Naturkräften, z. B. mittels Steinsetzungen, kannten. Dieses Wissen gibt Hinweise auf die Verbindung zur atlantischen Zeit, aus der die Megalithkultur stammen soll. Die Megalithiker errichteten seit etwa 4000 v.Chr. in Europa Steinsetzungen in Form von Ringtempeln, Dolmen- und Menhiranlagen, die das Hervortreten von Erdenergien lenkten und auf die Gestirne ausgerichtet waren.

Usch Henze hat einen wahren historischen Schatz geborgen, der die Zusammenhänge unserer Vergangenheit verständlicher macht und Licht ins Dunkel einer äußerst spannenden, aber vernachlässigten Geschichte bringt. Die Spuren unserer Ahnen sind nicht verschwunden, sie können uns vielleicht auch heute noch ein Stück des Weges weisen.

BUCH-TIPP:
Usch Henze
‚Die Merowinger‘
256 Seiten, € 22,80
ISBN 978-3-89060-545-6
Verlag Neue Erde