Piano Songs for Silence

Kann man Stille hören? Oder sie mit Musik zum Ausdruck bringen? Diese Fragen beantwortet der für sein ausdrucksstarkes Piano bekannte meditative Musiker Joachim Goerke im Interview und auf seinen gerade erschienenen CDs Inside und Deep Inside mit einem eindeutigen Ja. Die leisen und doch überaus kraftvollen Töne und Melodien seines vom Monochord begleiteten Pianos laden den Zuhörer ein, sich immer tiefer in die raum- und zeitlosen Tiefen des eigenen Seins fallen zu lassen, sich mehr und mehr zu entspannen und letztendlich innere Stille zu erfahren.

Ich lebe mit dem großen Geschenk, Musikalität mitbekommen zu haben“, antwortet Joachim Goerke auf die Frage, woher er die Inspiration für seine ungewöhnlichen, überaus gefühlvollen Kompositionen nimmt. „Da ist also etwas in mir, das ständig Neues schaffen und vertonen möchte. Seit meiner Kindheit gibt es eine große Sehnsucht in mir, dies auch mit anderen zu teilen.“

Joachim Goerke möchte Menschen mit seiner Musik berühren – und das gelingt ihm seit Jahren mit seinen „Piano Songs for Silence“, mit Musik, die, wie er sagt, in die Stille weist. „Sicher ist mit zunehmendem Alter auch die Spiritualität zu einer Quelle geworden“, erklärt er und spielt damit auf seine eigene bewegte Geschichte an. Als Jugendlicher litt er an einer schweren, scheinbar unheilbaren Neurodermitis. Bei einem seiner zahllosen Versuche, die Krankheit zu überwinden, riet ihm eine Heilerin auf den Philippinen: „Du musst anfangen zu beten“. Und obschon ihm dies als Nicht-Gläubigen zunächst völlig fern lag, war es doch der Anfang einer spirituellen Reise, die Joachim Goerke um die ganze Welt führte und ihn in Kontakt mit spirituellen Lehrern wie Sai Baba, Amma, Markus Langholf oder Eli Jaxon Bear, dem Begründer des spirituellen Enneagramms, brachte.

Goerke erzählt mir, dass ihn unter anderem seine Begegnungen mit Eli Jaxon Bear zur Komposition seines Albums „Inside“ inspiert haben. Und so wie Eli Jaxon Bears „Trance-Induktionen“ die Kraft haben, uns durch die verschiedenen Schichten der Fehlidentifikationen hindurch zu unserem eigenen, davon unberührten Wesenskern zu führen, hat auch Goerkes Musik die Kraft, uns den Weg nach innen zu weisen – dorthin, wo dem Komponisten zufolge alles von ewiger, bedingungsloser Liebe getragen sei.

„Ich empfinde heute keinen Druck mehr, mich in irgendeine Schublade einordnen lassen zu wollen, habe eine innere Freiheit gewonnen, die zu einem großen Ruhepol und gleichzeitig zu einer Quelle der Inspiration wurde“, erklärt Goerke weiter. „Aus dieser entwickelt sich alles. Wenn ich mich an mein Klavier setze, entstehen Melodien, formen sich musikalische Sequenzen aus meinem Inneren heraus, die sich im Laufe der Zeit zu Stücken zusammenfügen. Ich bin ein sehr auditiver Mensch. Ich spiele, höre, lausche dem Klang des Gespielten nach und antworte, indem ich spiele – ein steter Kreislauf, der Neues hervorbringt. Manchmal ist es auch ein bestimmtes Thema, das mich beschäftigt – und plötzlich ist ein Lied da. Dies ist kein rationales Vorgehen, kein bewusster Prozess.“

Auch in anderer Hinsicht unterscheidet sich Goerkes Schaffensprozess von der üblichen Arbeit eines klassischen Komponisten: „Die Noten schreibe ich nicht auf“, sagt er. „Das bedeutet aber auch, dass ich ein Stück so lange spielen muss, bis ich es einfach nicht mehr vergessen kann. Die Tonfolgen und Songs existieren dann weniger in meinem Kopf als vielmehr an einem Ort in meinem Inneren.“

Der Weg nach innen, zu unserem wahren Wesenskern, spielt in Joachim Goerkes Musik eine ebenso zentrale Rolle wie die Stille, der er schon frühere Alben wie zum Beispiel „Silence calls me – Piano Songs for Silence“ und „Thanks – Piano Songs for Silence Vol. II“ gewidmet hatte. Also frage ich ihn, welche Bedeutung die Stille für ihn ganz persönlich hat. „Auch ich musste die Qualität von Stille erst kennen lernen“, erklärt er. „Irgendwann manifestierte sich in mir so eine unbestimmte Sehnsucht und ich begab mich auf die Suche. Diese Reise führte mich zu vielen weisen Menschen und vielen Erkenntnissen, doch war der Lärm, den ich zu dämpfen suchte, immer noch da. Bis mir eines Tages klar wurde, dass es im Grunde genommen vor allem meine Gedanken waren, die lärmten. Als ich begann, mich damit zu beschäftigen und zu meditieren, habe ich die Qualität von äußerer und innerer Stille schätzen gelernt. Sie kann sehr heilsam sein und inspirierend. Sie ist ein wichtiger Zufluchtsort im heutigen Weltgewusel.“

Ich spreche ihn auf den scheinbaren Widerspruch von Musik und Stille an. Kann man Stille überhaupt hören, geschweige denn durch Töne, Klänge und Melodien zum Ausdruck bringen? „Zunächst scheint dies ein Widerspruch zu sein“, gesteht Goerke, „denn in dem Moment, in dem du einen Ton erzeugst, durchbrichst du ja die Stille. Wenn der Musiker aber Stille als seine Quelle hat, dann wird seine Musik sozusagen auch eine Verpackung, ein Transportmittel für die Stille sein. Vordergründig mögen es nur Töne sein, aber vielleicht kann man ja wahrnehmen, dass da jemand ist, der die Stille kennt. Den Tönen Zeit und Raum für ihre Entfaltung zu schenken ist auch eine Art, wie man den Hörern ein Gefühl von innerer Stille und tiefer Ruhe vermitteln kann.“

Genau dies tun seine Kompositionen auf dem gerade neu erschienenen Album „Inside“ und dem neu erschienenen Album „Deep Inside“ – schon beim ersten Hören bin ich beeindruckt von dem beruhigenden Effekt der Musik, der aus dem Dialog des gefühlvoll verspielten, aber niemals hektischen Pianos mit dem eher monton beruhigenden, obertonstarken Schnurren des Monochords hervorgeht. „Diese Stücke sind Ausdruck meines Herzenswunsches, mich ganz der Notwendigkeit von Entspannung und einem ‚Sichnach- innen-Hineinsinken‘ hinzugeben“, sagt Joachim Goerke. „Diese Musik ist dazu da, diese Reise nach innen zu begleiten und zu fördern. Sie lädt ein, aus der Zeit- und Raumebene des eigenen Seins in die raum- und zeitlose innere Tiefe zu sinken, um sich tiefer und tiefer zu entspannen. Sie kann für den eigenen Gebrauch – zum Beispiel zur Unterstützung und Vertiefung der Meditation – eine ebenso hilfreiche und entspannende Grundlage sein wie für die vielfältigen Formen therapeutischer Arbeit im professionellen Rahmen.“

Beim zweiten Hören bin ich dann mehr als beeindruckt: Ja, man kann wahrnehmen, dass da jemand spielt, der die Stille kennt. Und mehr noch, man kann dem Klang der Stille spielend leicht auf dem Weg nach innen folgen – bis dann der Lärm, wie Goerke das ständige Plappern unseres inneren Dialoges nennt, endlich verstummt ist und Frieden einkehrt sowie das Gefühl, endlich angekommen zu sein in seiner eigenen Mitte.

CD-TIPP
Goerke, Joachim
Inside
52 Min., € 19,50
ISBN: 978-3-939570-76-9
CD-TIPP
Goerke, Joachim
Deep Inside
50 Min., € 19,50
ISBN: 978-3-939570-77-6