Reality Check … was suchst du?

Aufstieg, Erleuchtung, Erwachen, Überwindung des Ego, Freiheit, göttliches Bewusstsein, Liebe, Wunscherfüllung, innerer Frieden, Glück, Rückkehr in das Paradies – die Ziele der zahllosen spirituellen Pfade scheinen vielfältig zu sein. Doch wer das wirkliche Ziel nicht kennt, kann sich nie sicher sein, tatsächlich den richtigen Weg gefunden zu haben. Gibt es überhaupt einen richtigen Weg? Oder machen wir uns alle nur etwas vor? Diesen und ähnlichen Fragen sind wir mit dem Autor des Buches „Was suchst du?“, dem Ex-Unternehmer Hermann R. Lehner, nachgegangen und haben den „Reality Check“ gemacht. Denn es geht erst einmal darum, im Rahmen einer gründlichen Selbsterforschung Folgendes zu beantworten: Was wissen wir wirklich? Und was können wir wirklich wissen?

Wie viele andere Adepten auf den verschlungen Pfaden spiritueller Weisheit begann auch Hermann R. Lehner als Suchender – bis ihm das ganze Suchen nach einer 19-jährigen „Irrfahrt durch die verschiedenen Glaubensrichtungen“ zu viel wurde und er sich eine einfache, aber entscheidende Frage stellte: „Was suchst du?“ Eine Frage, die zu anderen Fragen führte, mit deren Hilfe er all seine gewohnten Vorstellungen und Gedankenkonzepte über sich selbst und die Welt auf den Prüfstand stellte. Ein echter „Reality Check“, der ihn schließlich zum Erwachen führte, und eine Methode, die er heute nicht nur anderen Suchenden, sondern auch denen empfiehlt, die glauben, den richtigen Weg gefunden zu haben.

Wie einst Nietzsche in seiner „Götzendämmerung“ hinterfragt Lehner rückhaltlos liebgewonnene Konzepte und allzu bequeme Ideen, die so tief in uns verankert sind, dass sie gemeinhin für die Wirklichkeit gehalten werden. „Ein typisches Beispiel ist die Vorstellung, wir hätten ein Unterbewusstsein“, erklärt Lehner. „Wir sind an diese Behauptung der Geisteswissenschaften so gewöhnt, dass wir ganz selbstverständlich annehmen, sie wäre wahr. Und wir beschäftigen uns allzu gerne mit diesem geheimnisvollen Teil von uns, um ihn unter Kontrolle zu halten oder um ihn zu ergründen. Aber gibt es ein Unterbewusstsein wirklich? Nehmen wir einfach mal an – und das soll jetzt nicht als neue Behauptung, sondern nur als mögliche Annahme verstanden werden –, dass Gedanken einfach aus dem Unendlichen im zeitlosen Jetzt zu uns kämen, dann könntest du dich dein Leben lang mit deinem Unterbewusstsein beschäftigen – es würde nichts dabei herauskommen. Denn jeden Moment würden neue Gedanken aus dem Unendlichen auftauchen, die sich deiner Kontrolle entziehen.“

Lehner belehrt nicht, er konfrontiert uns vielmehr mit einer ganzen Reihe von Fragen, die uns zu unserer ureigenen Wahrheit führen sollen – und zum Kern unserer Suche beziehungsweise zum Kern unserer Probleme. Hier ein paar Beispiele:

– „Funktioniert die Welt nicht immer nach deinen Vorstellungen, und willst du sie in den Griff bekommen? Und wenn das so ist: Wer hat dir gesagt, die Welt müsste anders funktionieren, als sie gerade funktioniert? Hat dir gar jemand versichert, du könntest dich oder die Welt ändern, indem du dieses oder jenes tust? Und hat sich die Welt dann wirklich so verändert, wie du es wolltest?“

– „Suchst du die ‚Befreiung‘? ‚Befreiung‘ wovon? Was fesselt dich? Bevor dir jemand gesagt hat, du wärest gefangen, hattest du da auch schon das Gefühl, dass du gefangen bist?“

– „Willst du vielleicht ‚erwachen‘? ‚Erwachen‘ woraus? Aus einem Traum? Träumst du? Woher weißt du, dass du träumst? Kann denn eine Traumfigur sich selbst als Träumer erkennen, bevor der Traum zu Ende ist? Und wenn du dich als Träumer erkannt hättest: Warum träumst du dann noch? Oder hat man dir nur gesagt, das Leben wäre ein Traum, und du hast es dann geglaubt?“

– „Vielleicht suchst du auch Gott – oder das Absolute, das Brahman, das Tao etc. Aber was ist Gott? Was ist das Absolute? Was ist das Brahman oder das Tao? Vielleicht hast du eine Erklärung dafür, doch wo kommt die Erklärung her? Wenn dir niemand etwas von Gott erzählt hätte – wärest du überhaupt auf die Idee gekommen, einen ‚Gott‘ anzunehmen oder zu suchen? Wieso hättest du nach etwas suchen sollen, von dem du gar nichts wusstest?“

Geschickt gelingt es Lehner so nicht nur zahlreiche Konzepte und Ideen zu entlarven und aufzulösen, die letztlich alle auf Hörensagen beruhen und somit von außen an uns herangetragen wurden, es gelingt ihm auch darzustellen, wie sehr all unser Suchen und Streben an Gedanken und unseren unermüdlichen inneren Dialog gekoppelt sind.

„In Wirklichkeit gibt es nur Wahrnehmung. Der Wahrnehmende und das Wahrgenommene sind nur ein Konzept, die Tatsache der Wahrnehmung ist wirklich.“
Sri Nisargadatta Maharaj

„Wir mögen glauben, wir würden das Zepter in der Hand halten, wir könnten selbst bestimmen, wo es lang geht, aber mit etwas Aufmerksamkeit werden wir feststellen, dass uns unsere Gedanken regelrecht durchs Leben treiben“, erklärt Lehner und fügt fragend hinzu: „Wer könnte also von sich behaupten, er hätte die freie Wahl, welche Gedanken er denkt? Welche Urteile er fällt? Welche Entscheidungen er trifft? Ist es nicht eher so, dass uns die Gedanken regelrecht überfallen? Und sagt nicht auch der Volksmund, dass Gedanken uns ‚ein‘-fallen?“

Nun könnte man annehmen, dass die Lösung und damit das Ende allen Suchens im Beenden des Denkens zu finden sei – aber Lehner verwirft sowohl alle Bestrebungen zur Gedankenkontrolle als auch das bewusste Streben nach vollkommener innerer Stille. „Vollkommene Gedankenlosigkeit“, sagt er, „bedeutet die Auslöschung der Wahrnehmung und damit das Verschwinden des Ichs und der Welt um das Ich herum – wie im Tiefschlaf. Es ist also unsinnig, Gedankenlosigkeit im täglichen Leben anzustreben. Denn dafür brauchen wir nur einzuschlafen – und wie das geht, haben wir seit unserer Geburt ausreichend geübt.“

Eine wirkliche Lösung sieht er hingegen im Erreichen des „Zeugenbewusstseins“, einer Art losgelöster Aufmerksamkeit, in der wir uns nicht mehr mit unseren Ängsten und Hoffnungen, Gedanken und Wünschen identifizieren. „Wenn es uns gelingt, Distanz zu unseren Gedanken und zu unserem Denken zu erreichen, werden wir erkennen, dass wir als beobachtendes Subjekt frei sind“, erklärt Lehner. „Frei von all den Fesseln, die uns das Denken, die auf uns einströmenden Gedanken und die daraus folgenden Handlungen auferlegt haben. Das hat nicht unerhebliche Auswirkungen auf unser Leben und gibt uns ungeahnte Einsichten in unsere wahre Natur.“

Diese Einsichten umfassen laut Lehner unter anderem auch die Einsicht, dass auch Raum und Zeit, Vergangenheit und Zukunft nichts weiter als mentale Konzepte, also Gedankenkonstrukte sind, die sich im praktizierten Zeugenbewusstsein nach und nach in Schall und Rauch auflösen. Doch was bleibt uns dann noch?

„Wenn wir uns aus der Sklaverei unserer Vergangenheits- und Zukunftsvorstellungen befreien und begreifen, dass wir tatsächlich nur im Hier und Jetzt leben“, erklärt Lehner, „passiert etwas Wunderbares: Wir erfahren den denkfreien Zustand, in dem wir ausschließlich ‚sind‘ – ohne jede interpretierende Vorstellung von uns und der Welt. Dieser absolut sorgenfreie und sich damit leicht und glücklich anfühlende Zustand, in dem sich – wenn anfangs auch nur für kurze Momente – die Illusion aufgelöst hat, eine Person zu sein, wird oft als ‚reines Sein‘, als ‚Ich bin‘ oder auch als ‚Ich existiere‘ bezeichnet.“ Und – um Missverständnissen vorzubeugen – ergänzt er: „Bist du in dem Moment ‚entrückt‘? Im Gegenteil! Es ist dein natürlicher Zustand. Er ist immer mit dir, du hast ihn nie verloren, er war nie verschwunden. Dein ständiges Denken hat ihn lediglich vernebelt und nun reißen die Nebelfetzen auf, und du kannst erkennen, wer oder besser: was du wirklich bist.“

Natürlich ist diese Erkenntnis nicht neu – wie könnte die schlichte Wahrheit auch je etwas Neues sein? Wir finden sie sowohl in der philosophischen Erkenntnistheorie des Abendlandes wie etwa als Ergebnis von Edmund Husserls „Phänomenologischer Reduktion“ oder von René Descartes „Cogitatio“, als auch im indischen „Advaita Vedanta“, der Lehre von der Non-Dualität. Der Zustand des „Ich bin“ ist ein Zustand non-dualen Bewusstseins, in dem die künstliche Trennung von wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommenem Objekt im Akt der reinen Wahrnehmung aufgehoben wird. Und so sagt auch Lehner: „Alles was blieb, war: ‚die Wahrnehmung als solche‘.“

„Seitdem hat“, ergänzt er, „jegliche Suche nach ‚mir selbst‘ aufgehört. Restlos. Da ist nichts mehr, was es zu suchen gäbe. Das war es. Ende. Was bleibt, ist eine völlig neue Art des ‚Entdeckens‘. Ein ständiges Wundern und Staunen.“ Und er betont, dass dies keine besondere „Errungenschaft“ – das Ergebnis einer Suche oder eines Strebens – ist, sondern vielmehr unser Naturzustand beziehungsweise unser aller Geburtsrecht: „So gut wie alle Weisen haben es gesagt, und trotzdem oder gerade deswegen betone ich es an dieser Stelle noch einmal: ‚Erwachen‘ fügt dir nichts hinzu, was du nicht bereits hast. Nichts ist also an mir, was du nicht auch hast. Hör einfach mit dem strebenden Denken auf, und du wirst es erleben.“

Hermann R. Lehner machte sich bereits 1980 als Industrie-Elektroniker selbstständig und baute die „One-man-show“ innerhalb von fünf Jahren zu einem renommierten Unternehmen aus, das für internationale Großkunden wie Daimler Benz oder Siemens arbeitete. 2001 verkaufte er seine Unternehmensanteile und begann, die religiösen und spirituellen Lehren aus Ost und West zu studieren, reiste häufig zu ZEN-Lehrern nach Japan. Nach Jahren brennender Suche erkannte er schließlich seine wahre Natur. Seit 10 Jahren gibt er seine Erkenntnisse als Lehrer und Sachbuchautor weiter.

BUCH-TIPP
Hermann R. Lehner
Was suchst du?
ca. 180 Seiten, € 13,50
ISBN: 978-3-930243-50-1
Omega Verlag