Grundlos glücklich

Bücher über das Glücklichsein sind inzwischen in jeder Buchhandlung zahlreich vertreten. Manche bieten einfache Tipps und Rezepte zum Nachmachen an, andere stellen uns komplizierte Erklärungsmodelle vor, die unser Weltbild zerrütten wollen. Eine dritte Gruppe von Büchern ist sehr einfach gehalten, verspricht wenig und gibt kaum Anleitung – die Lektüre selbst erfüllt den Leser jedoch oftmals mit einem Gefühl, gleich einer Vorahnung oder eines Vorgeschmacks, von etwas, das man kaum benennen kann, das man dennoch kennt.

Barbara Vödisch, Autorin von mittlerweile zahlreichen Büchern zu verschiedenen Themen der Spiritualität, war lange Zeit auf der Suche. Einerseits trieb sie eine vage Erinnerung von unendlichem Frieden, die sie seit ihren Kindertagen hegte. Andererseits wollte sie in ihrer Jugend aufkommenden Phasen von Depression und Sinnlosigkeitsgefühlen entkommen. Im Nachhinein erkennt sie: Das Gefühl der Leere, der dunklen Stille in jener Zeit war ganz ähnlich dem Gefühl des „grundlosen Glücklichseins“, das sich ebenfalls wie eine Leere anfühle – eine Leere voller Frieden allerdings. „Damals“, schreibt Vödisch, „war wohl nicht die Zeit, den Widerstand aufzugeben. … Es gab noch die Vorstellung von einem Ich, das den Frieden erst finden und dahin zurückkehren muss.“

Erwachen?

Es geht hier um weniger.
Es geht um nichts,
um pure Essenz,
um Einfachheit.
Es ist absichts- und mühelos.
So wie du bist,
bist du vollkommen.
Barbara Vödisch

So blieb das Erwachen noch aus. Ihre Angst vor einer vollständigen Hingabe ließ weiterhin ein „Gefühl der inneren Zerrissenheit“ in ihr zurück. Erst zur Jahrtausendwende geschah plötzlich eine deutliche und einschneidende Veränderung. „Da war einfach das tiefe Empfinden, dass alles gut ist und dass nichts mehr anders sein muss“, erzählt Barbara in einem Interview. Das Wort „Erwachen“ benutzt sie für diese Erfahrung nur ungern. Sie sagt: „Es existiert gar keine Person, die erwacht sein könnte. Da bleibt nichts.“ Während sie auch vorher schon Erfahrungen des Einsseins gemacht hatte, die sich mit der Zeit mehrten – jedoch auch stets wieder vergingen –, war die Erfahrung vom Jahreswechsel 1999 ins Jahr 2000 bleibend. Ein Gefühl des Glücks, das keinen Grund braucht, eine Losgelöstheit von Persönlichkeit und Vorstellungen begleiteten sie von da an. Trotzdem bedeutete dies nicht, dass es in ihrem Leben nur noch Spaß und Freude gab. Die Dinge nahmen ihren Lauf wie eh und je. Allein ihr Blickwinkel und das daraus folgende Gefühl hatten sich verändert.

Licht und Schatten
Beim Erwachen zur wahren Essenz unseres Seins geht es besonders um die Akzeptanz aller Aspekte des Lebens, den guten wie den schlechten. Es geht um die Hingabe an jegliches Geschehen im Augenblick, ohne Fluchtversuche und Vermeidungstechniken. „Was wir nicht haben wollen, verschwindet, wenn es willkommen ist, da zu sein“, erklärt die Autorin dazu. In der Bewusstwerdung des inneren Wesenskerns, der still und ohne Urteil einfach ist, liegt, ihr zufolge, der Schlüssel zum Erwachen, zum Glücklichsein. Der Sprung in dieses Sein, in die Ewigkeit, ist das Beenden des Kämpfens gegen Schatten und Schmerz. „In der Akzeptanz der Dunkelheit liegt das Licht.

Hell und Dunkel sind eins“, erläutert sie. Selbst in der Nichtliebe und im Unfrieden seien Liebe und Frieden noch enthalten. Auch in der Bedeutungslosigkeit, in der Dunkelheit, in absoluter Leere liegen Stille und Glück. Während es äußerlich aussieht, als ob glückliche und unglückliche Momente sich stetig abwechseln, ist es in Wirklichkeit so, dass grundloses Glück in all diesen Zeiten unentwegt gegenwärtig ist. Es ist kein einmaliges Highlight, das kommt und wieder geht. Es ist zeitlos und liegt in der Erkenntnis unseres innersten Seins. „Glück haben“ ist daher ein widersprüchlicher Ausdruck. Wahres Glück kann man in diesem Sinne gar nicht haben. Man kann sich lediglich wieder an dessen Existenz im Innern erinnern und es aufleben lassen.

Ausflüchte
Doch die Wandlung hin zum Akzeptieren und Erkennen unserer wahren Essenz scheint oft schwer zu erreichen und ungeahnte Ängste in uns zu wecken. Immer wieder können wir uns dabei ertappen, wie wir versuchen, die Ereignisse unseres Lebens zu kontrollieren. Diese eigentlich nur anstrengende Reaktion auf die Geschehnisse führt aber nicht zu mehr Glück. Sie ist ein Schwimmen gegen den Strom – kräftezehrend und wenig sinnvoll. Die Angst entsteht, weil wir uns vor dem Nichts, vor der Leere, vor dem Alleinsein fürchten. So fällt es schwer, loszulassen. „Wenn wir uns einsam und verlassen fühlen, stellt sich die Frage, wo wir die Bewusstheit unserer inneren Vollständigkeit, das heißt uns selbst verlassen haben“, stellt Barbara diesbezüglich fest. Wir seien es, die sich trennten und sich ausschließen würden, mit unseren Gedanken.

Abgesehen von der Angst vor dem letztendlichen Loslassen scheint auch die Gewohnheit eine große Hürde auf dem Weg zum inneren Glück zu sein. Wir fühlen uns in unserem Leid und unserem Klagen, das wir ja nicht erst seit gestern tun, mehr zu Hause als im unbekannten unbeschreiblichen Sein. Die meiste Zeit sind wir daher auf der Flucht vor Leere und Stille. Die Anstrengungen, die wir unternehmen, um dem Sein an sich zu entfliehen, sind mannigfaltig und sogar für uns nicht immer deutlich erkennbar. Selbst die Beschäftigung mit esoterischen Ideen und Praktiken verleitet oftmals dazu, aus allem wieder eine Übung zu machen, anstatt zu fühlen, was sich ohne unser Zutun aus dem Selbst offenbart. Wir mögen um ein neues Konzept reicher sein, entfernen uns jedoch nur weiter von uns selbst. Ob wir uns beispielsweise aller Pflanzen gewahr oder der Musik auf dem Walkman lauschend durch die Natur bewegen, ist völlig gleichwertig. Es kommt auf den Hintergrund an, vor dem all diese Spielarten des Seins ablaufen.
Viele Wege – ein Sein
Das Paradox bei all den Erklärungen zum Erwachen liegt darin, dass das Erwachen einerseits sowieso nicht zu beschreiben ist und andererseits auch nicht „getan“ werden kann. Jede neue Idee und jeder Glaube erzeugen nur wieder eine Abhängigkeit. Aus dem Freisein ein Ziel zu machen, verhindert, es einfach zu sein. Keine Religion, keine esoterische Lehre sind nötig, um die Kraft der Stille und des Friedens wirklich zu erreichen. Sie sind lediglich Ablenkungen vom Wesentlichen. Die Wege zu dieser Erkenntnis sind so verschieden wie die Menschen selbst. Jeder hat seinen ganz individuellen Weg. Barbara Vödisch, die früher als Tanztherapeutin und Journalistin tätig war, hatte sich nie für eine bestimmte spirituelle Richtung oder Persönlichkeit interessiert. Sie sagt: „Es gab nie ein richtiges Zugehörigkeitsgefühl für eine bestimmte Richtung. Ich habe gespürt, wenn ich mich den Strukturen und Regeln und Zuordnungen einer Szene beuge, dann beschränkt mich das auf etwas. Diesen Preis wollte ich nicht zahlen.“

Eine andere Illusion, die in vielen esoterischen Lehren als etwas, das man bekämpfen muss, dargestellt wird, ist das Ego. Dabei gibt es so etwas wie das Ego nur in unseren Vorstellungen und Gedanken, meint Vödisch. „Es gibt keine Person, die das Leben steuert“, ist ihre Erfahrung. Darum sei es auch sinnlos, gegen ein Ego ankämpfen zu wollen. Ob wir etwa ein hohes oder geringes Selbstwertgefühl besitzen, ist für unser innerstes Wesen völlig gleichgültig. Die Identifizierung mit einer persönlichen Rolle, das Mitspielen dieses Spiels verdeckt jedoch unser wahres Selbst. Die Wahrnehmung richtet sich immer mehr nach außen anstatt nach innen.

Einfach sein
Das Leben ist die unumgängliche, aber auch die beste Lehre auf dem Weg zum Glück. Es lehrt uns immer das, was wir gerade brauchen. Die Herausforderungen annehmen, Hingabe üben, das sind die Zutaten, die uns näher zu uns selbst bringen. Wenn sich negative Gefühle in uns breit machen, so die Autorin, sollten wir nichts anderes tun, als uns ihnen hinzugeben, rückhaltlos und direkt. Oft wollen wir einen Schmerz nicht spüren und frieren ihn ein. Das führt zu Stagnation und Depression. Wenn wir dagegen unsere Gefühle durchleben und die tieferen Schichten darunter mehr und mehr wahrnehmen, sind wir irgendwann am Punkt des reinen Seins angekommen. Im Prinzip müssen wir den Mut haben, uns durch alles „hindurch zu fühlen“, um es dann loslassen zu können. Neben bestimmten Gefühlen gilt es auch Glaubensmuster, Erwartungen und Ideale zu durchleuchten und eventuell hinter sich zu lassen. Barbara Vödisch erzählt, dass es besonders ihre Ideale waren, die für viel Leiden in ihrem Leben sorgten und Enge und Anstrengung erzeugten.

Glück ist immer
Beim Thema Erwachen geht es weniger um das rationale Verstehen, als vielmehr um die Erfahrung ohne Urteil, inneres Erkennen, das Spüren unserer wirklichen Essenz. Krisen sind dabei eine Art Weckruf, der unsere Konzentration auf das Wesentliche, das Hier und Jetzt lenken will. „Nichts und niemand, auch kein Meister oder Guru, kann uns die Hingabe an die Weisheit des Lebens abnehmen“, schreibt die Autorin. Lernen müssen wir somit eigentlich gar nichts. Wenn Barbara Vödisch Tagesseminare für Interessierte gibt, dann ist der Schwerpunkt nicht das Gespräch oder Philosophieren, sondern die Begegnung an sich, von Mensch zu Mensch. Im Grunde könne sie auch nichts lehren, sagt sie. Da sei kein „Ich“, das eine Absicht habe. Die Illusion sei, dass wir glaubten, wir hätten das grundlose Glück, unser wahres Zuhause jemals verlassen. „Wie können wir es verlassen haben, wenn wir es immer waren, sind und sein werden“, fragt Barbara. Ihr geht es einzig um die Erinnerung, was wir in unserer Essenz sind. Eigentlich können wir immer glücklich sein, aus uns selbst heraus, jetzt und ohne irgendeinen Grund – grundlos glücklich eben.

BUCH-TIPP
Barbara Vödisch
Grundlos glücklich
139 Seiten, € 14,80
ISBN: 978-3-89901-132-6
Kamphausen Verlag
www.weltinnenraum.de
www.barbaravoedisch.de