Tibetische Klöster im Exil

Sie sind die Zunkunft des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur: die Exilklöster mit ihren zahlreichen jungen Novizen

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Ein tibetisches Kloster in Kathmandu im Frühsommer 2007: Die großen Tuben, lang wie Alphörner, dröhnen im Tempelraum, die Mönche singen ihre liturgischen Texte wie jeden Tag, außerhalb der Klostermauern donnern Motorräder vorbei, heilige Kühe wühlen im allgegenwärtigen Müll und die Sonne bringt den Staub fast zum Glühen. Ein paar ordentlich gekleidete Herren betreten das Kloster und verlassen es einige Zeit später mit einem satten Bündel Rupien – Schutzgeld, „Spenden“ für die „gute Sache“ der Maoisten. Der Rinpoche, das Oberhaupt des Klosters, hat den Betrag heruntergehandelt, so gut es ging; die Herren waren höflich, aber eindeutig.

Bald wird man das nicht mehr Spenden (offiziell) oder Schutzgeld (inoffiziell) nennen, sondern Steuern: Die Maoisten haben die Waffen abgegeben und dürfen dafür mitregieren. Was dann? Der Rinpoche wiegt den Kopf. Man hofft das Beste. Die tibetische Devise lautet in ruhigen wie in unruhigen Zeiten „zuversichtliche Ungewissheit“. Und an unruhige Zeiten sind sie gewöhnt.

Exil
Eine tausend Jahre alte tibetische Prophezeiung lautet: „Wenn der Eisenvogel fliegt und Pferde auf Rädern laufen, wird Tibet untergehen.“ Erst nach Süden und dann nach Westen würde der Dharma (die buddhistischen Lehren) gehen, heißt es weiter, und wenn viele Klöster um die Stupa (sakrales Bauwerk) von Bodhnat in Nepals Hauptstadt Kathmandu gebaut würden, könne der tibetische Buddhismus überleben und der ganzen Welt zum Wohle dienen.
Die Prophezeiung erfüllte sich. Seit 1959 ist Tibet ein von Rotchinesen besetztes Land. Der größte Teil der Klöster – mehr als 6000 – wurde niedergerissen, unzählige Kunstschätze wurden zerstört, Mönche und Nonnen in Arbeitslager gesperrt, gefoltert, erschossen, erschlagen. 1,2 Millionen Tibeter fanden den Tod, zum Teil auf grauenvolle Weise. Das war die „Befreiung“ Tibets.

Wer über die Berge floh und dabei weder erschossen wurde noch in Schnee und Eis umkam, fand Asyl in Nepal und Indien. Viele tibetisch-buddhistische Klöster wurden mit Spenden aus Südostasien im Exil erbaut und der Andrang an jungen Anwärtern und Anwärterinnen ist groß.

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Eine Gruppe tibetischer Nonnen beim traditionellen Tanz

Es ist eine gewaltige Aufgabe, die diese Exilklöster bewältigen müssen. Sie haben die Tradition der korrekten Vermittlung der philosophischen und psychologischen Lehren zu bewahren, indem sie gute Lehrer ausbilden und Bibliotheken aufbauen. Sie sorgen dafür, dass die tibetische Sprache gepflegt und die Tradition der sakralen Musik und der sakralen Tänze aufrechterhalten wird. Sie bewahren als primäre Auftraggeber die Kunst der Kloster- und Rollbildmalerei, der Bildhauerei und die verschiedenen Bereiche des Kunsthandwerks. Die tibetische Kultur, die identisch ist mit dem tibetischen Buddhismus, hat bereits eine Generation im Exil überdauert. Die Klöster machten es möglich.

So entstanden auch um die Stupa in Kathmandus Stadtteil Bodhnat immer mehr Klöster, um der positiven Prophezeiung gerecht zu werden. Ein eigener Baustil wurde kreiert, in dem sich magere finanzielle Vorgaben und traditionelle Ästhetik zu einer neuen Form verbanden, die sich auch am subtropischen Klima orientiert. Kathmandu liegt etwa auf dem Breitengrad von Delhi und Kairo, in der Höhe von 1350 m in den Vorbergen des Himalaya. Im Sommer während der Monsunzeit herrscht feuchte Hitze, im Winter frieren die Nonnen und Mönche zwei Monate lang in ungeheizten Räumen. Im vergangenen Winter fiel sogar Schnee bis ins Kathmandu-Tal herab.

Inzwischen lebt schon die zweite Generation tibetischer Flüchtlinge im Exil. Die Kinder und Jugendlichen in den Klöstern sind die Zukunft der tibetischen Kultur, die im eigenen Land keine Überlebenschance hat, und von der Qualität ihrer Ausbildung hängt es ab, ob ihr Überleben im Exil dauerhaft Früchte tragen wird.

Mönche
Unübersehbar ist das große weiße Kloster in Bodhnat, das auf einer leichten Anhöhe zwischen den umgebenden Wohnhäusern aufragt. In den sechziger Jahren gebaut, wurde es im Laufe der Jahrzehnte erweitert und aufgestockt, denn ständig stehen Kinder vor der Tür, die aufgenommen werden wollen, und junge Novizen wachsen heran, für die man Studierzimmer und Klassenräume braucht. Tibetische Klöster sind voller Kinder – ganz normale Kinder, die herumtoben, schreien und lachen und sich beim Spielen schmutzig machen. Für tibetische Eltern ist es traditionell Ehrensache, dass einer der Söhne ins Kloster geht, und viele Kinder kommen auf dringenden eigenen Wunsch, aber im Exil muss ein Kloster gelegentlich auch als Waisenhaus und Heim für verlassene und verwahrloste Kinder dienen. Und immer wieder werden Kinder unter größten Gefahren über die Schneeberge geschleust, um im Exil eine spirituelle Ausbildung zu erhalten. Nachwuchsmangel gibt es in den Klöstern nicht.

Im alten Tibet sorgten die Eltern der Mönche und Nonnen und die umgebende Gemeinde für die Bedürfnisse der Klöster. In allen buddhistischen Kulturen Asiens ist es selbstverständlich, dass Laien für das materielle Wohl der Klöster sorgen. Darin liegt nach buddhistischer Vorstellung ein natürlicher Ausgleich, denn die Klosterinsassen sorgen ihrerseits für das spirituelle Wohlergehen der Laien. Das geistige Training befähigt den Mönch und die Nonne, durch das so entwickelte Große Mitgefühl starke innere Energien zum Besten anderer Menschen zu entwickeln und in die Welt hinauszusenden. Mit dieser hohen Zielsetzung wächst jedes Klosterkind auf, denn nach buddhistischer Anschauung ist dies der grundlegende Sinn und Zweck des menschlichen Lebens.

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Lesen- und Schreibenlernen in jungen Jahren ist eine grundlegende Voraussetzung zum späteren Studium und Verständnis der buddhistischen Schriften

Ausbildung

Die Grundausbildung der Kinder beinhaltet vor allem Lesen und Auswendiglernen, später auch Schreiben – und dazu werden nicht etwa Kinderbücher, sondern wichtige buddhistische Grundlagentexte verwendet. Auch wenn die Kleinen deren Inhalte nicht verstehen, so werden die Texte doch gespeichert, und sie wachsen in das Verstehen hinein wie ein Kinderfuß in einen zu großen Schuh. Ein bisschen Rechnen, ein bisschen Geografie und Englisch, mehr Allgemeinwissen braucht es nicht. Hingegen ist das Studium der Logik sehr wichtig. Klares, ordentliches Denken ist nötig für das Studium der buddhistischen Lehren.

Mit achtzehn bis zwanzig Jahren haben die Novizen die Schule beendet und müssen sich nun entscheiden, ob sie im Kloster bleiben und voll ordiniert werden wollen. Sie können sich für ein Studium entscheiden – das tun die meisten – oder bestimmte Aufgaben im Kloster übernehmen. Die Tage eines Novizen und jungen Mönchs sind nahtlos ausgefüllt. Nur wenig Zeit bleibt für gelegentliche Ausflüge in die Stadt oder den Besuch des Fußballstadions. Im Erwachsenenalter haben die Mönche die Möglichkeit, sich für drei Jahre in eine strenge Klausur zurückzuziehen, um in einer kleinen Gruppe Meditation und die begleitende Energiearbeit zu praktizieren. Manche entschließen sich danach für ein langes Meditationsretreat in einer Einsiedelei. Andere beenden das Studium an der Klosteruniversität und schließen mit einem akademischen Grad ab, um selbst Lehrer an einer Klosterschule oder -universität zu werden.

Nonnen
Hinter dem weißen Mönchskloster erhebt sich der Berg Shivapuri in eine Höhe von 2300 m. Auf mehr als halber Höhe inmitten von Rhododendronwäldern liegt ein Nonnenkloster, viele verstreute Gebäude unterschiedlicher Größe um einen Tempelbau an den Berg geklebt, eher einem Dorf ähnlich als einem Kloster. 108 meist noch junge Nonnen leben dort in der Zurückgezogenheit, denn es ist ein spezielles „Retreatkloster“, in dem weniger studiert als meditiert wird. Um 5 Uhr morgens beginnen sie mit ihrer persönlichen Meditation, und danach ist der Tag aufgeteilt in gemeinsame Pujas (Ritual und Andacht) und Studienzeiten. An bestimmten Tagen tanzen die Nonnen ihren „Chöd“-Tanz, der nur Klosterfrauen vorbehalten ist. Im Übrigen unterscheiden sich Nonnen und Mönche weder in ihrer Kleidung noch in der Art der Rituale und Meditationen. Selbst die geschorenen Köpfe sind für beide Geschlechter typisch.

Zukunft
Obwohl die Situation in Nepal für die tibetischen Klöster nach wie vor beunruhigend ist, sind die Rinpoches der Klöster strahlende Beispiele der Weisheit zuversichtlicher Ungewissheit. Für sie ist jeder einzelne Tag, an dem die Mönche und Nonnen meditieren und studieren können, ein Gewinn und nährt ihre Zuversicht. Doch da tibetische Klöster keine Geschäfte machen, sind sie ganz und gar auf Spenden angewiesen.

Ulli Olvedi (geb. 1942) befasst sich seit Jahrzehnten in Theorie und Praxis mit dem tibetischen Buddhismus und lebte in exiltibetischen Klöstern. Die Dokumentarfilmautorin, Übersetzerin und Lehrerin des Stillen Qi Gong und der Meditativen Energiearbeit ist Autorin zahlreicher Publikationen. Mit ihren Romanen „Wie in einem Traum“, „Stimme des Zwielichts“, „Der Schrei des Garuda“ und „Tibet hinter dem Spiegel“ hat sie sich auch auf belletristischem Gebiet einen Namen gemacht.

Nähere Infos:
Patenschaften für Nonnen und Mönche im nepalesischen Exil vermittelt der Verein Tashi Delek e.V.
Ammerseestr. 5, D-86919 Utting
Fax 08806 957330
www.tashi-delek.de

BUCH-TIPP
Olvedi, Ulli
Die Energien des Lebens und des Sterbens
320 Seiten, € 19,90