Der rote Faden durch die Ewigkeit

Der britische Schriftsteller Aldous Huxley (1894 – 1963) war einer der tiefgründigsten und einflussreichsten Zivilisationskritiker des 20. Jahrhunderts. Mit seinem Roman „Schöne neue Welt“ erlangte er Weltruhm. Das Echo seiner düsterenZukunftsprognose mit prophetischem Charakter hallt bis in unsere Tage hinein. Die spätere Schaffenszeit Huxleys ist jedoch mindestens ebenso interessant und gleichwohl optimistischer.

Unter dem Einfluss der politischen Ereignisse im Europa des 2. Weltkrieges wandert Huxley nach Amerika aus und verwandelt sich vom scharfzüngigen Satiriker zum leidenschaftlichen Verteidiger eineruniversalen mystischen Religion. Seine Romane, Essays und Sachbücher wenden sich dem Gutem im Menschen, den Utopien und dem Mysterium des Seins zu.

Die Begegnung Huxleys 1938 mit Krishnamurti ist sicherlich ein Auslöser für diese Wende. Der Schriftsteller widmet sich der Meditation und den großen Weisheitslehren der Welt, sucht in den heiligen Schriften von Mystikern und Heiligen nach einer transzendenten, universellen Wahrheit und entdeckt schließlich den roten Faden, der sich durch alle religiösen Lehren und Traditionen zieht. Er nennt diesen roten Faden „Philosophia perennis“, die ewige Philosophie. In seiner Anthologie der grundlegenden mystischen Erkenntnisse verschiedener Kulturkreise aus drei Jahrtausenden, die auf Erfahrungen der Wahrnehmung beruhen, lässt sich dieser rote Faden immer wieder finden, sodass Huxley davon ausgeht, dass es sich um globale Wahrheiten handelt.

Der Autor selbst sieht sich dabei nicht als Kenner der Materie. Er schreibt: „Ist man selbst kein Weiser oder Heiliger, so sollte man am besten die Metaphysik derer studieren, die Weise und Heilige waren. Nachdem sie ihr bloßes Menschsein verändert hatten, machten sie sich einer qualitativ und quantitativ mehr als menschlichen Erkenntnis fähig.“ In der „Ewigen Philosophie“, dieser Sammlung wertvoller Einsichten zur göttlichen Wirklichkeit hinter der mannigfaltigen Welt, die Huxley durch Kommentare zusammenfügt und erläutert, wird man daher vergebens nach „Berufsphilosophen“ suchen.

Das Wesen dieser einen Wirklichkeit sei von solcher Art, dass es nur von denen unmittelbar erfasst werden könne, die sich dazu entschlössen, die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, indem sie liebten und alle Anmaßung aufgäben, schreibt der Autor. Nur wer sein Ich im Prinzip verleugne, könne dadurch in sich für Gott Platz machen. Und nur wer liebt, begibt sich überhaupt auf die Suche nach Gott. Der Sufi-Mystiker Rumi verdeutlicht dies: „Fragst du: ‚Was ist Liebe?‘, sage ich: ‚Den Eigenwillen aufzugeben.‘“ Die Schriften der Mystiker und Weisen sprechen wiederholt von der völligen Hingabe an die Praxis. Die daraus resultierende lebendige Erfahrung ist – fern von Intellektualität – die pure Wahrnehmung des Göttlichen. Im Lankavatara-Sutra heißt es: „Mit der Lampe des Wortes und der Unterscheidung muss man über das Wort und die Unterscheidung hinausgehen und sich auf den Weg zur Wahrnehmung machen.“

Die „Ewige Philosophie“ bewegt sich unter Anführung der verschiedensten Blickwinkel und Ansätze stets um die Wahrnehmung dieses göttlichen Urgrunds des Daseins. Der Zustand des zivilisierten Menschen, der sich im Laufe seines Erwachsenwerdens ergibt, schwächt die ursprüngliche Verbindung zum Ursprung, zum Geist. Zwar gewinnt das Individuum, so Huxley, begriffliches und systematisches Wissen, doch die Qualität der unmittelbaren Wahrnehmung, die intuitive Kraft wird dadurch abgestumpft, geht teilweise sogar verloren. Der Mensch lebt nunmehr in seiner Persönlichkeit, nicht in seinem „Atman“, dem wahren Ich, das ungeahntes Potenzial beherbergt. Der Mensch gerät in einen Zustand automatischen, mechanischen Verhaltens, das sich bis zur Neurose steigern kann. Doch immer wieder gibt es Individuen, die sich dieser Reduzierung ihrer selbst bewusst sind und die einen Weg zurück zum Ursprung – oder evolutionär gesehen – vorwärts in eine neue Form des Seins suchen. Beide Wege kommen am selben Punkt aus.

Der Weg zum wahren Selbst, durch die Pforten der Wahrnehmung verlaufend, ist und bleibt für Huxley stets die Metaphysik, welche die Erfahrung des Ewigen Seins im eigenen Selbst erfahrbar macht. Die indischen Lehren sprechen vom „Atman“, dem ewigen immanenten Selbst, das eins ist mit dem „Brahman“, dem Ursprung des gesamten Daseins. Meister Eckhart, christlicher Mystiker, drückt es folgendermaßen aus: „Der Erkennende und das Erkannte sind eins … Einfältige Menschen stellen sich vor, sie sollten Gott sehen, als stünde Er dort und sie stünden hier, aber das ist nicht so. Gott und ich, wir wissen, dass wir eins sind.“

In der Erkenntnis, dass Gott sowohl immanent als auch transzendent ist, liegt derweil die Erlösung aller Suche und Sehnsucht. Es ist, als liege die Antwort in der Mitte. Weder ganz im Außen noch nur im Innern, sondern dort, wo beides sich trifft. Daher ist auch jede Praxis, die einen Teil der Wirklichkeit – den äußeren oder den inneren Aspekt – ausschließt, keine Lösung,

sondern oftmals ein Fallstrick, der zu Fanatismus und Dogmatismus führen kann. So können übertriebene Übungen der Selbstverleugnung und der Askese auch ins Gegenteil umkippen; sie stärken unser Ego und liefern uns der Selbsttäuschung aus. Huang-Po, Philosoph und Mönch des

Zen, rät daher: „Wenn ihr weder an den Sinnen und Gedanken festhaltet noch sie ausschließt, werdet ihr eure vollkommene, uneingeschränkte Freiheit genießen und an der Quelle der Erleuchtung sitzen.“

Das friedliche In-Einklang-Bringen aller materiellen wie geistigen Aspekte des Daseins führt letztendlich durch beide Pole hindurch zu einer umfassenderen und gleichwohl unbeschreiblicheren Form des Seins. Bedingungs- und Urteilslosigkeit sind dafür vonnöten; die eingangs erwähnte Voraussetzung der Liebe kommt ins Spiel: Wer seine Liebe nicht bedingungslos verschenkt, der wird einen Teil der Wirklichkeit, meist das so genannte „Böse“ ausschließen. Und „selbst wenn die fühlende Liebe sich auf das höchste Objekt bezieht, kann sie die Seele nicht in ihrem spirituellen Wesen mit dem göttlichen Urgrund vereinigen, weil sie wie alle Affekte gerade das Selbst stärkt, das letztlich ein Hindernis dieser Vereinigung ist“, erläutert Huxley. Die „fühlende Liebe“ mag daher als Antrieb zur Suche nach Transzendenz eine Rolle spielen, doch nur in ihrer vollendeten Form der Hingabe und Bedingungslosigkeit wird sie zum Lohn und zur Heimkehr für den Mystiker. Meister Eckhart schildert es so: „Diese Identität, die aus dem Einen entspringt, in Ihn zurückkehrt und sich mit Ihm vereinigt, ist die Quelle und der Ursprung glühender Liebe.“

Viele solcher tiefen und poetischen Einblicke in die Weisheit aller Zeiten findet der Leser in Huxleys „Ewiger Philosophie“. Sie kann als Kompendium der schönsten zu Wort gebrachten Erfahrungen Heiliger und Weiser verstanden werden, aber auch als Kompass für den direktesten Weg zu eigenen mystischen Erfahrungen dienen.