Haiku* aus Klängen und Rhythmen

Ein Interview mit Chaitanya G. Deuter geführt von Norbert Classen

*Haiku (jap. „lustiger Vers“) bezeichnet eine Gedichtform japanischen Ursprungs, die formal streng nach Lauteinheiten in Versenaufgebaut ist und ein konkretes Thema hat

»Ein Haiku ist für mich wie eine Tür, die sich kurz öffnet und einen Raum andeutet, der dann wenn man ihn betritt, sich in uns selbst befindet – aus diesem inneren Raum entsteht meine Musik, gewebt von Flöte, Shakuhachi, Keyboard oder Cello und anderen Instrumenten.«
Chaitanya G. Deuter

newsage: Du beglückst Deine Hörer schon fast 40 Jahre lang mit Deiner einzigartigen Musik. Wie bist Du überhaupt dazu gekommen?
Deuter: Die Frage ist schwer zu beantworten vielleicht war es schon in mir drin, als ich auf die Welt kam. Ich habe schon immer Klänge geliebt. Und als Kind habe ich dann zum ersten Mal bewusst Musik gehört, ich glaube es war Mozart, und das Gefühl gehabt, dass Licht in diese Welt hinein kam.

newsage: Das hast Du tatsächlich so wahrgenommen, also nicht nur einfach gehört?
Deuter: Nein, nicht nur einfach gehört. Das war wirklich ein Einbruch in eine andere Dimension. Ich bin ja nach dem Krieg aufgewachsen und diese Zeit war alles andere als erfreulich. Und da Musik zu hören, das war für mich fast wie ein göttliches Erlebnis.

newsage: Wie hast Du dann selbst angefangen, Musik zu machen?
Deuter: Ich glaube, einfach aus der Freude heraus, einen Ton erzeugen zu können und ihm zuzuhören – das ist für mich immer noch wie einem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Mit dem Ton in die Stille hineinzugehen, aus der der Ton ja auch kommt und in die er wieder hinein schmilzt.

newsage: In Deiner Musik wird Stille wirklich spürbar. Welche Rolle spielt sie für Dich?
Deuter: Die Stille und die Natur sind praktisch eins. Stille kann man nicht erzeugen – man kann nur aufhören, Lärm zu machen, und dann ist die Stille da. Die Natur ist das, was da ist, das Seiende in der Welt, in der wir uns befinden. Wenn wir es schaffen, wieder zuzuhören und eins werden mit der Natur, dann ist das ein heilsamer Prozess. Durch die Stille können wir wieder eins mit der Natur werden.

newsage: Vor allem in deinen frühen Werken hast Du ja auch häufig Naturaufnahmen verwendet…
Deuter: Ich habe das immer geliebt. Mich hat das richtig angetörnt, mit Kopfhörer und Tonbandgerät draußen in der Natur zu sitzen und die Musik der Natur aufzunehmen. Bäche, die vor sich hin glucksen oder rauschen, Vögel, die singen, der Wind in den Bäumen oder im Gras. Mich da total hinein fallen zu lassen, das war immer ein sehr beglückendes und erfüllendes Erlebnis. Aus diesen Aufnahmen sind dann später viele Musikstücke entstanden, die zum Teil mit den Naturgeräuschen vermischt sind oder die einfach aus diesem Naturerlebnis entstanden sind.

Deuter bei der Arbeit im Studio: Wie kaum einem anderen gelingt es ihm, mit seiner Musik Stille zu „erzeugen“.

newsage: Das kann man auch in Deinen aktuellen Aufnahmen aus dem Haiku-Projekt „Kirschblütenwolken“ spüren. Da kann man einen Bach erkennen, den Du mit der Flöte spielst, oder andere Naturgeräusche.
Deuter: Genau. Es gibt zwei Punkte, die für mich wichtig sind in meiner Musik: Das eine ist die Stille oder die wiedererlebte oder -gefundene Natur. Das andere ist die Freude, eine Dankbarkeit fürs Leben – dass es überhaupt etwas gibt. Dass es die Natur gibt, dass es uns gibt und dass wir in der Lage sind, das wahrzunehmen und uns wahrzunehmen. Das sind die beiden Punkte, die ich immer wieder auszudrücken versuche.

newsage: Was Dir auch sehr gut gelingt… Der schöpferische Prozess, der dahinter steckt, ist sicher nicht auf Naturgeräusche beschränkt. Wie entstehen Deine Stücke?
Deuter: Das Wichtigste in der Musik ist das Zuhören, das „Hören können“. So wie ich meine Musik mache, ist das ein Prozess reinen Zuhörens. Ich spiele einen Ton und höre ihm zu. Der Ton leitet zu einem nächsten Ton und dieser leitet wieder irgendwo hin. Ich bin auf der einen Seite Zuhörer der Musik, die ich mache, und auf der einen Seite bin ich der, der sie spielt. Das Spielerische ist ein wichtiges Element – so wie Kinder spielen, einfach herumspielen und aus irgendetwas etwas schaffen. Das ist für mich wichtig. Ohne eine Idee im Kopf, ohne voreingenommen zu sein an das Musikinstrument heranzugehen. Damit herumzuspielen und zuzuhören, was passiert. Daraus entsteht dann meine Musik. Natürlich wird dann noch dramaturgisch daran gearbeitet, bestimmt, wie lang ein Stück sein kann, wo es hingehen kann und so weiter…

newsage: Überarbeitest Du Stücke häufig oder entstehen sie meist aufnahmereif ?
Deuter: Es gibt beides: Stücke von neun Minuten, die fast in einem Durchgang aufgenommen worden sind, und andere, an denen ich tagelang herumgefeilt habe.

newsage: Du bevorzugst Instrumente wie Flöten oder Klangschalen. Haben bestimmte Instrumente eine besondere Kraft?
Deuter: Der Ton einer Klangschale ist eine ganz andere Welt als die Töne, die man auf einer Gitarre erzeugen kann – mit seinen reichen Obertonstrukturen erreicht er eine ganz andere Dimension. Er hält die Welt nicht fest mit einer Geschichte, die mit einer Melodie erzählt wird. Er hilft, den Gedankenprozess zu verlangsamen, Abstand zu bekommen und Klarheit zu gewinnen. Das ist aber für viele Leute nicht zugänglich – das kann sehr weit weg sein für sie, so dass ihnen zum Beispiel langweilig wird. Ich glaube, es ist deshalb wichtig, Brücken zu bauen, eine Melodie zu schaffen, die sich gut anhört und der man leicht folgen kann, um dann durch die Melodie eine Brücke zu haben und im Hörer das zu erzeugen, was eine Klangschale erzeugen kann.

newsage: Eine Klangschale kann ja richtig körperlich wirken, eine physische Resonanz erzeugen und so Blockaden lösen…
Deuter: Ja, natürlich. Alles ist Schwingung. Jede Zelle hat eine messbare Schwingung. Durch die Resonanz beeinflussen wir uns gegenseitig mit Schwingungen, und Musik beeinflusst uns sowohl auf der mentalen, der emotionalen als auch auf der körperlichen Ebene. Das kann sich sowohl positiv als auch negativ auswirken.

newsage: Negativ im Sinne von Lärm oder aggressiver Musik?
Deuter: Ja, irgendeine Musik, die einen krank macht oder negative Stimmung erzeugt.

newsage: Es gibt Experimente, die gezeigt haben, dass Pflanzen bei Mozart besser gedeihen als bei Hardrock…
Deuter: Genau das meine ich. Zum Abtanzen kann Rockmusik ja auch ganz gut sein, aber als Musik zum Zuhören ist Mozart sicher besser geeignet.

newsage: Welche Musik hörst Du selbst gerne?
Deuter: Im Laufe der Jahre ändert sich ja der Geschmack. Im Augenblick höre ich gerne Bach, Barockmusik und Klassik. Wenn ich aber selbst an Musik arbeite, höre ich wenig oder gar keine Musik, weil ich mich nicht beeinflussen lassen möchte.

newsage: Dann bevorzugst Du wahrscheinlich die Stille…
Deuter: Ja, ich lebe in einer Gegend, in der es sehr still ist. In den Bergen von New Mexico in der Nähe von Santa Fe, außerhalb der Stadt. Da ist es einfach still, da sind nur die Geräusche der Natur. Da muss ich mich nicht extra hinsetzen und meditieren, wie hier in einer Großstadt, um alles loslassen zu können, um eine bestimmte Leere zu erfahren und wirklich zuhören zu können. Das passiert da von alleine. Aber wenn ich früher Konzerte gegeben habe, da habe ich mich dann schon hingesetzt und meditiert, um mich einzustimmen.

newsage: Wie lange lebst Du schon in New Mexico?
Deuter: Seit 1985. Merkwürdigerweise ist das der Platz, an dem ich die längste Zeit gelebt habe. Sonst bin ich immer nach ein paar Jahren weiter gezogen, in ein anderes Land, eine andere Stadt, eine andere Gegend. In Santa Fe hab ich dann auch ein Haus gebaut – das hilft natürlich auch, ein bisschen sesshafter zu werden.

newsage: Und was machst Du gerade in Deutschland? Gibst Du Konzerte?
Deuter: Nein, ich mache das, was ich gerade mache (lacht): Interviews geben, Freunde besuchen, herumreisen, Kontakte knüpfen, mich um Projekte kümmern…

Flöten gehören zu den Lieblingsinstrumenten von Deuter – darunter auch die japanische Shakuhachi-Flöte.

newsage: Kannst Du uns mehr über Dein jüngstes Projekt mit dem Innenwelt Verlag, die Haiku-CD „Kirschblütenwolken“, erzählen?
Deuter: Ich arbeite auch gerne mit Sprache und habe schon einige CDs herausgebracht, die mit Sprache zu tun haben, wie damals das „Tao Te King“ mit dem Bauer Verlag. Und ich hatte Lust, wieder was mit Sprache zu machen. Ich liebe das Kurze, Prägnante an Haikus, die trotzdem einen Raum erzeugen, der offen ist. Einen Raum, in dem man sich gut bewegen kann und in dem man nicht so eingeschlossen ist wie in einem Gedicht, das sich über zehn Strophen zieht. Das Problem war, dass die Original-Haikus alle in Japanisch geschrieben und kaum zu übersetzen sind. Das Sprachgefühl der Japaner ist ganz anders und so haben wir uns Übersetzungen ausgesucht, die uns gefallen haben, und haben sie dann von Dorothea Gädeke aufzeichnen lassen. Ich habe mir das dann angehört, so wie ich mir sonst Naturgeräusche anhöre, und habe angefangen, dazu zu spielen. Das war ein echtes Experiment: Sich nur von der Sprache, der Musik der Sprache und dem Bild, das das Haiku zeichnet, inspirieren zu lassen. Ich bin ganz bewusst nicht den japanischen Weg gegangen. Ich spiele ja selbst Shakuhachi und hätte auch sehr „japanisch“ einsteigen können. Was vielleicht dem Bild, das wir von einem Haiku haben, näher gekommen wäre. Aber ich habe dann gedacht: Ich mache jetzt wirklich einfach das, was bei mir jetzt kommt, ohne darüber nachzudenken, und daraus sind die „Kirschblütenwolken“ entstanden.

CD-TIPP
D. Gädeke & C.G. Deuter
Kirschblütenwolken
Audio-CD, € 18,80
ISBN 978-3-936360-38-7
Innenwelt Verlag

BUCH-TIPP
Angela Klopstech & C.G. Deuter
‘FrauenLeben’
48 Seiten, mit Hörbuch-CD, € 19,95
ISBN 978-3-86663-025-3
Arun-Verlag