Medizin, Achtsamkeit und Mitgefühl

Die Integration östlicher Weisheit in die westliche Medizin und Psychotherapie ist zentrales Thema und Anliegen des Kongresses „Medizin, Achtsamkeit und Mitgefühl“, der vom 29. Juni bis 1. Juli 2007 in Köln stattfindet. Als Redner konnte der Veranstalter anerkannte Fachleute der achtsamkeitsbasierten Medizin und Psychologie gewinnen. Dazu zählen Jon Kabat-Zinn, Daniel J. Siegel, Chökyi Nyima Rinpoche und David R. Shlim. Sogar Daniel Goleman, Bestsellerautor von „E.Q. – Emotionale Intelligenz“, wird dem Kongress via Video-Screening zugeschaltet sein.

Das Wissen und Potenzial der fernöstlichen Heilkultur wird in den letzten Jahren zunehmend auch im Kontext westlicher Medizin eingesetzt. Meditation, Akupunktur, Akupressur oder Hypnose sind gefragt wie nie zuvor und werden oft erfolgreich in Bereichen zur Anwendung gebracht, in denen herkömmliche Methoden versagen oder nur unzureichend wirksam sind.

Auch die Achtsamkeit, ein wesentlicher Bestandteil buddhistischer Meditation, wird in immer mehr Bereichen der Schulmedizin anerkannt. So ist sie zum Beispiel fester Bestandteil eines Programms zur Stressbewältigung. Da die Wurzeln dieser Methode in den USA liegen, ist der Name „MBSR“ auf den englischen Begriff „Mindfulness-Based Stress Reduction“ zurückzuführen, was als „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ übersetzt werden kann. „MBSR“ wird als Maßnahme zur Vorbeugung und Rehabilitation von stressbedingten, aber auch körperlichen Erkrankungen zunehmend in Krankenhäusern, Universitäten, Gesundheitszentren und anderen Institutionen eingesetzt.

Achtsamkeit will gelernt sein
Die Praxis der Achtsamkeit nach professionellen, therapeutischen Maßstäben kann man in einem Kurs auf Basis intensiver, mehrwöchiger Trainingsprogramme mit wöchentlichen Gruppensitzungen und ganztägigen Schweige-Retreats erlernen. Kern des Übungsprogramms sind verschiedene Meditationspraktiken, darunter die traditionelle Sitzmeditation, sanfte und achtsam ausgeführte Yogahaltungen und der sogenannte „Bodyscan.“ Zusätzlich werden Erkenntnisse aus der aktuellen Stressforschung, der kognitiven Psychologie sowie der Kommunikationswissenschaft vermittelt. Die Teilnehmer lernen, ihre Aufmerksamkeit ganz auf den gegenwärtigen Moment zu richten und alle Empfindungen so anzunehmen, wie sie sind. Ziel ist es, alle Gefühle, Gedanken und Handlungen in jedem Augenblick bewusst wahrzunehmen. Das Ergebnis: Es fällt leichter, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren und den Körper (und auch seine Warnsignale) bewusster wahrzunehmen.

Eine kleine Achtsamkeits-Übung
Am besten lässt sich die Erfahrung der Achtsamkeitsmeditation anhand einer kleinen praktischen Übung nachempfinden, zu der wir Sie einladen möchten:

Halten Sie einen Moment inne, nehmen Sie einen tiefen Atemzug und schließen Sie die Augen. Wenden Sie sich dann mit einem wohlwollenden und freundlichen Interesse sich selbst zu – schauen Sie sozusagen kurz bei sich selbst vorbei und erkundigen Sie sich nach Ihrem eigenen Befinden –, ohne das, was Sie vorfinden, zu bewerten oder ändern zu wollen. Widmen Sie sich folgenden Fragen:

Wie fühlt sich mein Körper an?
Wie ist meine Stimmungslage?
Was geht gedanklich und emotional in mir vor?
Wie fühlt es sich an, wenn ich mich mir selbst und meiner Erfahrung im gegenwärtigen Moment freundlich zuwende?

Nehmen Sie dann noch einmal einen tiefen Atemzug und stellen Sie sich langsam darauf ein, wieder in die Alltagswelt zurückzukehren.

Die Wurzeln der Achtsamkeit
Achtsamkeit ist keine neue Erfindung und mehr als ein Modetrend. Traditionelle Kulturen und Religionen verfügen über viele althergebrachte Methoden, die dem Menschen zu helfen achtsam zu sein und so sein Wohlbefinden zu steigern. Vor allem im Buddhismus hat Achtsamkeit einen besonderen Stellenwert: Achtsam sein bedeutet hier, ganz in der Gegenwart, im Hier und Jetzt zu sein und sich seiner Gefühle, Gedanken und Handlungen in jedem Augenblick vollkommen bewusst zu sein.

Durch Meditation üben sich Buddhisten in Achtsamkeit und viele Meister betonen, dass es von zentraler Bedeutung ist, die Achtsamkeit zu einer das ganze Leben prägenden und durchdringenden Geisteshaltung zu machen. Einer der wichtigsten traditionellen buddhistischen Texte über die Achtsamkeit ist die „satipatthana sutta“, in der die Lehre von den vier Grundlagen der Achtsamkeit (Achtsamkeit auf den Körper, Achtsamkeit auf die Gefühle und Empfindungen, Achtsamkeit auf den Geist, Achtsamkeit auf die geistigen Objekte) vorgestellt wird.

Der Achtsamkeits-Kongress
Der internationale Kongress „Medizin, Achtsamkeit & Mitgefühl“, der vom 29. Juni bis zum 1. Juli 2007 in der Stadthalle von Köln-Mülheim stattfindet, befasst sich vor allem mit der Bedeutung der Achtsamkeit für die moderne Medizin und das ganze Gesundheitssystem. Der Veranstalter, die „Arbor Seminare GmbH“ aus Freiburg, hat namhafte Experten eingeladen und Organisator Lienhard Valentin freut sich: „Wir haben Jon Kabat-Zinn, Professor der Medizin und Bestseller-Autor des Titels ‚Zur Besinnung kommen’, für den Kongress gewonnen.“ Und er ergänzt: „Der nicht minder namhafte Psychologe Daniel Goleman, weltweit bekannt durch sein Werk ‚E.Q. – Emotionale Intelligenz‘, wird der Veranstaltung trotz seines vollen Terminkalenders per Live-Videoübertragung zugeschaltet sein.“

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Daniel Goleman

Am Freitag wird der tibetische Lama Chökyi Nyima Rinpoche, der frühere Assistent des 16. Karmapa, in die Bedeutung von Achtsamkeit und Mitgefühl in Medizin und Therapie einführen. Daniel Goleman wendet sich dann der Kultivierung von Mitgefühl im medizinisch-therapeutischen Berufsleben zu.

Der Samstag ist praxisorientierten Lösungsstrategien vorbehalten. Daniel Siegel, Direktor des „Mindsight Institute“, Co-Direktor des „UCLA Mindful Awareness Research Center“ und Autor des Bestsellers „Wie wir werden, die wir sind“, führt zunächst in die physiologischen Grundlagen der Achtsamkeit ein: Was bedeutet es eigentlich, gegenwärtig und „ganz da“ zu sein? Basierend auf aktuellen Forschungsergebnissen verfolgt er einen neuen Ansatz, der Einsichten in die spezifische Funktionsweise des achtsamen Geistes und über die positive Wirkung der Achtsamkeitspraktiken bietet.

Jon Kabat-Zinn, Begründer der „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ (MBSR), berichtet von der Kunst, Achtsamkeit und Mitgefühl wissenschaftlich fundiert in das moderne Gesundheitswesen einzuführen.

David Shlim und Chökyi Nyima Rinpoche präsentieren schließlich das „Medizin und Mitgefühl-Projekt“, ein von ihnen entwickeltes Trainingsprogramm für Mediziner und Medizinstudenten der Harvard-Universität, das sie hier erstmals der deutschen Öffentlichkeit vorstellen.

Was von all diesen Konzepten und Ansätzen in der alltäglichen Situation des modernen Medizinbetriebs, in Praxen und Kliniken umsetzbar ist, soll abschließend in einem Podiumsgespräch geklärt werden, das von Dr. Dr. Andreas Remmel, dem ärztlichen Direktor des Psychosomatischen Zentrums Waldviertel, geleitet wird. Alles in allem ein Programm, das nicht nur für Ärzte und Vertreter der Gesundheitsberufe attraktiv sein dürfte, sondern auch für den interessierten Laien.

Achtsamkeit im Gespräch
Im Vorfeld des Kongresses hatten wir die Gelegenheit, den Hauptrednern ein paar Fragen zu stellen und alle waren sofort bereit, Rede und Antwort zu stehen und noch tiefer auf die Bedeutung von Achtsamkeit und Mitgefühl einzugehen.

newsage: Sie betonen immer wieder die besondere Bedeutung von Achtsamkeit und Mitgefühl, vor allem im medizinischen Bereich. Warum ist das so wichtig?

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Jon Kabat-Zinn

Jon Kabat-Zinn: Die ganze Medizin ruht seit Hippokrates auf der Unantastbarkeit der Beziehung zwischen Arzt und Patient und der Verpflichtung, erst einmal „keinen Schaden anzurichten“. Aber man richtet häufig unwissentlich Schäden an, vor allem dann, wenn man als Arzt nicht wirklich bei seinem Patienten ist. Es ist oft eine Form der Nichtbeachtung, die jeder kennt, der schon einmal in dieser verletzlichen Situation gewesen ist. Achtsamkeit kann hier helfen, nicht vom Pfad der ärztlichen Tugend abzuweichen.

newsage: Was gibt uns das Gefühl, menschlich behandelt zu werden? Können Sie das vielleicht kurz beschreiben?

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David R. Shlim

David R. Shlim: Wenn ein Patient verängstigt ist oder Schmerzen hat, hilft es ihm am ehesten, wenn er die Gewissheit hat, dass die Ärzte und Pfleger ihm ihre ganze Aufmerksamkeit schenken – dass ihnen wirklich etwas daran liegt, dass es ihm besser geht und sie ihr Bestes dafür geben.

newsage: Wie kann Ihr Konzept von einem „achtsamen Gehirn“ die tägliche Arbeit von Ärzten und Therapeuten beeinflussen?

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Daniel J. Siegel

Daniel J. Siegel: Die tägliche Praxis der Achtsamkeit ist wie Zähneputzen: Sie ist eine Art geistiger Hygiene, mit der wir das „Hirn putzen“ und so einen gesunden Geist fördern können. Ich hoffe, dass der Ansatz, den ich in meinem Buch „Das achtsame Gehirn“ entwickelt habe, etwas ist, das bei den Kollegen verschiedener Fachrichtungen auf fruchtbaren Boden fällt.

newsage: Bewirkt ein medizinischer Ansatz, der stärker auf den mentalen und emotionalen Hintergrund einer Krankheitsgeschichte eingeht, auch automatisch mehr Mitgefühl auf Seiten des behandelnden Arztes?

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Chökyi Nyima Rinpoche

Chökyi Nyima Rinpoche: Wenn der Arzt sieht, dass der Patient wirklich leidet, wird sein Mitgefühl natürlich wachsen. Und der Arzt wird sich besser fühlen, wenn das Leiden behoben ist. Es wird sein Selbstvertrauen und auch sein Selbstwertgefühl steigern.

newsage: Welche Erwartungen setzen Sie persönlich in den Kongress „Medizin, Achtsamkeit und Mitgefühl“?
Jon Kabat-Zinn: Ich wünsche mir, dass wir in dieser kurzen Zeit möglichst viel miteinander teilen und uns gegenseitig inspirieren können – und das über den Kongress hinaus. Und natürlich wünsche ich mir, dass jeder Teilnehmer dadurch neue Wege findet, Achtsamkeit und Mitgefühl in seine Arbeit und sein Leben zu bringen. Das ist es, wie sich Medizin und das ganze Gesundheitswesen ändern werden. Es liegt an jedem Einzelnen von uns. Selbst die kleinste Änderung kann große Auswirkungen auf Einstellung und Verständnis haben. Und wir selbst werden als Erstes davon profitieren. Zum Beispiel in dem wir mehr Freude daran haben, wer wir sind, und daran, dass wir mit anderen gemeinsam daran arbeiten, das allgemeine Wohlbefinden und die Gesundheit eines jeden Einzelnen zu fördern.

newsage: Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Weitere Informationen:
Kongressbüro Medizin, Achtsamkeit & Mitgefühl Arbor Seminare GmbH
Zechenweg 4, D-79111 Freiburg
Tel. 0761-89629106
Fax 0761-89629107
info@medizin-mitgefuehl.de
www.medizin-mitgefuehl.de

BUCH-TIPP:
Chökyi Nyima Rinpoche, David R. Shlim
‚Medizin und Mitgefühl‘
192 Seiten, € 16,90
ISBN 978-3924195-93-9
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Jon Kabat-Zinn
‚Zur Besinnung kommen‘
672 Seiten, € 29,90
ISBN 978-3-936855-17-3
bt_jon-kabat-zinn01
Daniel J. Siegel
‚Das achtsame Gehirn‘
400 Seiten, € 29,90
ISBN 978-3-936855-58-6
Alle erschienen im Arbor Verlag
www.arbor-verlag.de
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