Yoga als Körper-Therapie

In der Yogapraxis scheint es oft darum zu gehen, sich immer weiter dehnen zu können und noch tiefer in die verschiedenen Positionen, Asanas genannt, zu kommen. Dass dies weder im Sinne des traditionellen Yoga noch unseres Körpers ist, zeigt der Mediziner und Yogatherapeut Peter Poeckh.

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Yogatherapeuten gibt es noch nicht viele, doch die Ausbildung macht Sinn. Die Anzahl der Verletzungen durch eine ungenaue Yogapraxis ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Zwar machen auch immer mehr Menschen Yoga, doch viele davon erhalten keine richtige Anleitung für die Übungen – eine Anleitung, die speziell auf den jeweiligen Körper abgestimmt ist.

Der Österreicher Peter Poeckh lernte Yoga zuerst von seiner therapeutischen Seite kennen. Geplagt von einer schweren Form des Tennisarms, konnte er durch Yoga zu seiner ursprünglichen Gelenkigkeit zurückfinden. Begeistert vom Potenzial der uralten Bewegungsform Indiens reiste er zu Yogameistern in der ganzen Welt und begann, intensiv zu praktizieren. Heute ist er selbst Yogalehrer.

Die Yogapraxis führte ihn jedoch irgendwann an neue Grenzen. Er erkannte, dass der Übungsstil, der in den westlichen Ländern favorisiert wird, eindimensional und zu leistungsorientiert ist. Die Ausführung der Asanas wird zu wenig als ein ganzheitlich auf Körper und Geist wirkendes System betrachtet. Je länger Poeckh selbst praktizierte, desto mehr Unstimmigkeiten machten sich bei ihm bemerkbar, mal schmerzte das Knie, mal zerrte ein Muskel oder der Rücken fühlte sich überstrapaziert an.

Anatomie des Yoga

So begann der angehende Arzt während seines Medizin-Studiums, die Körperhaltungen anatomisch zu betrachten. Er stellte fest, dass unter diesem Gesichtspunkt vieles, was zu den Übungen vermittelt wird, kontraproduktiv wirkt. Empfindliche Problemstellen des Körpers, wie Knie, Hüften und Wirbelsäule, erhalten meist zu wenig Aufmerksamkeit. Die korrekte Stellung der Knie und Hüften sowie die Aufrichtung der Wirbelsäule und des Nackens sollten seinen Erkenntnissen nach oberste Priorität haben.

Den Schlüssel für eine anatomisch optimale Yogapraxis fand der Mediziner bei dem Schweizer Yogalehrer Remo Rittiner. Dessen »Yogatherapie« machte Poeckh mit einer Form des Yoga vertraut, die ganz auf Heilung und Gesunderhaltung ausgerichtet ist. Grundlegende Aspekte der Yogatherapie sind die medizinisch-anatomisch korrekte Betrachtungsweise der Übungen, die Beachtung der heilsamen Wirkung der Atmung und eine ganzheitliche Herangehensweise an den Praktizierenden. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte können Yogapraktizierende zu einer – innerlich wie äußerlich – gesunden Haltung finden.

»Aus meiner persönlichen Erfahrung und durch viele Yogaschüler weiß ich heute, dass im Yoga ein großes Heilpotenzial schlummert. Voraussetzung dafür ist die sinnvolle und intelligente Anwendung des aktuellen Wissens um Anatomie und die Anpassung der Yogapraxis an die individuellen Beschwerden und Bedürfnisse«, schreibt Poeckh in seinem Buch, das er zur Yogatherapie verfasst hat. Sein Yogaprogramm umfasst Übungen, die verspannten Schultern, einem schmerzhaften Nacken, Enge im Brustkorb, Hüft- und Knieproblemen sowie einer gekrümmten Wirbelsäule entgegenwirken. All diese Probleme sind auf Verspannungen zurückzuführen, die unsere Lebensenergie an den jeweiligen Stellen blockieren. Je verspannter wir durchs Leben gehen, desto weniger kann unsere Energie fließen. Der Ziel einer guten Yogapraxis ist daher, dass Prana, die Lebensenergie, wieder ungehindert durch uns fließen kann.

Die innere und äußere Haltung

»Unsere Haltung und unsere Bewegungen haben einen großen Einfluss darauf, wie wir uns verhalten, und wirken auf unsere Einstellung, unser Wohlbefinden und unsere Ausstrahlung«, weiß auch Poeckh zu berichten. Unsere Körperhaltung signalisiert, wie wir uns im Moment fühlen. Gehen wir aufrecht durchs Leben oder gehen wir gebückt, da wir uns belastet oder unterdrückt fühlen? Psychische Belastungen wie Stress, Ängste und emotionale Blockaden manifestieren sich im Körper. Die Yogapraxis dient der bewussten Wahrnehmung solcher »Problemzonen«.

Indem wir beim Yoga bewusst aufkommende Gefühle und Empfindungen wahrnehmen, lernen wir, zu beurteilen, was sich gut und richtig anfühlt – und was wir eher vermeiden sollten. Die Ruhe und Entspannung, die durch die Yogapraxis entstehen, lassen uns die Ursachen für Beschwerden leichter erkennen. Die Wechselwirkungen von Körper und Geist werden direkt erfahrbar. So hilft die Yogatherapie einerseits, Verletzungen vorzubeugen, und andererseits, im Alltag schneller in den Wohlfühlmodus zurückkehren zu können.

Übung 1 für die Schultern
Ziel und Wirkung der Übung: Mobilisation der Schultergelenke, Entspannung der Schulterblattmuskulatur.

Durchführung: Bleiben Sie in der Rückenlage mit angewinkelten Beinen.
Einatmung: Strecken Sie die Arme nach oben aus.
Ausatmung: Lassen Sie nun Ihre Schulterblätter in den Boden sinken.
Einatmung: Strecken Sie die Arme hinter den Kopf aus.
Ausatmung: Bringen Sie die Arme wieder nach vorne in die Ausgangsposition.
Wiederholung: 10-mal

Tipp: Lassen Sie sich Zeit und atmen Sie tief und langsam!

Fehlhaltungen und Problemzonen

Ungesunde Fehlhaltungen machen sich häufig im Nacken- und Schulterbereich bemerkbar. Sie entstehen aufgrund einer schlechten Ausrichtung der Halswirbelsäule. Menschen, die viel sitzen, sind in dem Bereich meist stärker verspannt und sollten besonders auf eine genaue Ausführung der Asanas nach anatomischen Gesichtspunkten achten. Die Wirbelsäule sollte gestreckt sein, so dass der Nacken nicht gestaucht wird und genügend Raum für die Bandscheiben vorhanden ist.

Ein weiteres Problemfeld besteht laut Poeckh erfahrungsgemäß im Brustbereich. Vielfach werden die Schultern hängen gelassen oder hochgezogen, so dass ein runder Rücken entsteht. Dadurch wird es im Brustbereich eng, die Atmung wird flach und die Energie kann nicht frei fließen. Die optimale Haltung für den Oberkörper ist ein offener, nicht zusammengesunkener, Brustkorb. Dieser unterstützt eine tiefe und entspannte Atmung. Die Schultern sollten dabei locker nach hinten und nach unten sinken.

Die Knie sind ein weiterer Bereich, der ein höheres Augenmerk verdient. Die optimale Stabilität erhalten die Knie, wenn sie sich bei Übungen, die eine Kniebeugung vorsehen, etwa auf Höhe der Ferse befinden und gerade ausgerichtet sind. Der Fuß sollte dabei in einer geraden weiterführenden Linie nach vorne zeigen.

Eine gut auf unseren Körper abgestimmte Yogapraxis kann bei regelmäßiger Übung deutliche Erfolge zeigen. Hüft-, Kopf-, Nacken-, Bandscheiben-, Knie- und Kieferprobleme können langfristig beseitigt werden, wie zahlreiche Fallstudien, die Dr. Poeck in seinem Buch bespricht, zeigen. Die neu gewonnene Kraft und Energie führen zu einem sicheren Auftreten – im wortwörtlichen und im übertragenden Sinn. Prinzipiell empfiehlt Poeckh, besser dreimal 20 Minuten als einmal eine Stunde in der Woche üben. So entsteht leichter ein neuer Körpertonus, und das Körpergedächtnis wird effektiver trainiert.

Atmung – Pranayama

Für eine gesunde Yogapraxis ist außerdem die Atmung ein wichtiger Parameter. Tiefe Atemzüge schaffen Raum im Oberkörper und lösen Anspannung und Blockaden. Im Yoga heißt es, dass mit jedem Atemzug Prana aufgenommen wird. Die Atmung wird Pranayama genannt, wobei ayama die Expansion ist. Demnach ist die Atmung die »Expansion der Lebensenergie«. Ein bewusster langer Atmen schenkt Gelassenheit und wirkt lösend und erneuernd. Allerdings ziehen die meisten Menschen den Bauch unbewusst ein und atmen zu flach. »In meiner Yogatherapiearbeit beobachte ich, dass sehr viele Menschen in ihren Bauchmuskeln verspannt sind, was wiederum Beschwerden im Rücken-, Schulter- und Hüftbereich zur Folge haben kann«, erläutert Peter Poeckh. Besonders Menschen, die einer sitzenden Arbeit nachgehen, sind betroffen. Daher wird – wie bei der Yoga-Therapie generell – auch bei der Atemarbeit die Praxis individuell an den Schüler angepasst. Eine persönlich stimmige Sache eben!

Dr. med. Peter Poeckh
Arzt, Yogalehrer und Yogatherapeut aus Wien. Er absolvierte nach einem Wirtschafts- das Medizinstudium an der Universität Wien. Seit 2002 beschäftigt er sich intensiv mit Yoga, 2012 machte er das Diplom zum Yogatherapeuten bei Remo Rittiner. Dr. Poeckh hält international Vorträge und Seminare zum Thema »Yoga und Gesundheit«. 2015 wird er zum ersten Mal eine Yogatherapie-Ausbildung in Wien anbieten.

Buchtipp
Dr. med. Peter Poeckh
Gesund durch Yoga Praktische Übungen aus der Yogatherapie
160 Seiten, 24,95 €
ISBN: 978-3-86616-303-4
Verlag Via Nova
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