Selbstheilung mit inneren Bildern

Selbstheilung mit inneren Bildern

Sich selbst heilen bedeutet, Verantwortung für seine Krankheit zu übernehmen. Es bedeutet außerdem, sich der eigenen inneren Welt samt ihren Bildern und Gefühlen anzunehmen. Wie man eine solche innere Reise bewerkstelligt, zeigen uns auf exemplarische Weise Mythen und Märchen. Träume, Assoziationen, Visionen und Imagination sind die Werkzeuge, mit denen wir uns Schritt für Schritt auf dem Weg zu unserer inneren Kraftquelle bewegen.

Selbstheilung mit inneren Bildern

Die bekannteste Technik einer inneren Reise findet sich im Schamanismus. Bei der »schamanischen Reise« wird der »Reisende« in einen anderen Bewusstseinszustand versetzt, um den Weg ins eigene Innere und damit zu den Ursachen seiner Lebensumstände anzutreten. Wer sich selbst entdecken oder heilen will, kommt um die inneren Bilder, die in jedem von uns wirken und oft in starkem Kontrast zu den Ideen unseres Verstandes stehen, nicht drum herum. Alles Menschengemachte auf dieser Welt keimt aus einem inneren Bild, aus einer Vision des Erfinders oder Denkers. Innere Bilder machen unsere innerste Struktur aus, sie bestimmen unser Selbst-Bild.

Innere Bilder haben einen viel größeren Effekt auf uns, als häufig angenommen wird. Man vergegenwärtige sich nur einmal, wie unterschiedlich unsere Sinne reagieren, wenn wir uns einerseits eine Zitrone und andererseits eine Banane vorstellen. Oder wie unterschiedlich wir uns fühlen, wenn wir uns einen traurigen oder einen lustigen Film anschauen. Die neurophysiologischen Vorgänge, die durch innere Bilder, durch Imagination in Gang kommen, sind vielfältig. Innere Bilder lösen, genau wie Gedanken, biochemische und elektromagnetische Aktivität im Gehirn aus. Die Signale aktivieren wiederum die Aktivität der Gene; Wissenschaftler haben den direkten Einfluss auf unsere DNS inzwischen festgestellt.

Die Sprache der Bilder ist nach heute vorliegenden Erkenntnissen vornehmlich in der rechten, intuitiven Gehirnhälfte angesiedelt. Die Bilder werden von außen und von innen geprägt; alles, was wir visuell oder emotional wahrnehmen, wird zu einem inneren Bild verarbeitet. Solche Bilder stellen ein Medium dar, mit dem wir unsere Erinnerungen leicht abrufbar speichern können. Deshalb bestehen unsere Erinnerungen eher aus Bildern als aus Worten. Beim Erinnern fügen wir die Bilder durch eine Geschichte zusammen, haben aber in der Regel zuerst ein Bild im Kopf. Bilder lassen sich besser einprägen und können mehrere Ebenen beinhalten: semantische Bedeutung, Sinneseindrücke und Gefühle gleichzeitig.

Sprache der Seele

Bilder werden immer wieder als »Sprache der Seele« bezeichnet. Schon vor 2500 Jahren stellte Aristoteles dies fest. Religiöse Traditionen bedienen sich der Gleichnisse und Bilder, um die Dinge anzusprechen, die immateriell und doch fühlbar oder auf andere Weise erfahrbar sind. Worte reichen eben oftmals nicht aus, um alles menschenmöglich Erfahrbare auszudrücken. Um die Sprache der eigenen Seele zu erkunden und sich innerer Bilder und Symbole bewusst zu werden, hat auch die Psychologie, die »Lehre der Seele«, Wege und Mittel ersonnen. Sigmund Freud z. B. machte Formen des Imaginierens zum Bestandteil seiner Psychoanalyse. C.G. Jung befasste sich ebenfalls mit Techniken des Imaginierens und Assoziierens. Er nutzte z.B. den persönlichen und kollektiven Bilderschatz in seiner »Aktiven Imagination«, bei der sich das Ich-Bewusstsein mit dem Unbewussten in Beziehung setzt.

Auch Jung war davon überzeugt, dass sich die Seele durch Bilder mitteilt. Die Psyche erschafft ihm zufolge die Wirklichkeit mittels Bilder und Fantasie. »Die Fantasie ist ebenso sehr Gefühl wie Gedanke, sie ist ebenso intuitiv wie empfindend.« Sie hänge mit allen psychischen Funktionen zusammen und sei deutlichster Ausdruck der psychischen Aktivität. »Sie ist vor allem die schöpferische Tätigkeit, aus der die Antworten auf alle beantwortbaren Fragen hervorgehen, sie ist die Mutter aller Möglichkeiten, in der auch, wie alle psychologischen Gegensätze, Innenwelt und Außenwelt lebendig verbunden sind. … «, schrieb der Schweizer Psychoanalytiker.

Unsere persönliche Psychologie ist dabei C.G. Jung zufolge mit dem psychologischen Feld aller Menschen – die noch leben und bereits gelebt haben – verbunden. »Unsere persönliche Psychologie ist nur eine dünne Haut, ein leichtes Kräuseln auf dem Ozean einer kollektiven Psychologie. Der machtvolle Faktor, der Faktor, der unser Leben verändert, der die Oberfläche unserer bekannten Welt verändert und der Geschichte macht, ist die kollektive Psychologie, und die kollektive Psychologie bewegt sich nach Gesetzen, die von denen unseres Bewusstseins von Grund auf verschieden sind«, so Jung.

Möchte man über das Innere zu äußerer Gesundheit finden, gilt es, sich der inneren Bilder bewusst zu werden und sie genauer zu betrachten. Die Bilder – besonders solche, die symbolhaften oder mythischen Charakter haben – beinhalten oft tiefgehende Bedeutung für uns; sie haben sich durch die Menschheit hindurch als Ankerpunkte jeder möglichen menschlichen Seelenreisen erwiesen. C.G. Jung nennt diese Ankerpunkte »Archetypen«, da sie bestimmte Merkmale und Eigenschaften eines Persönlichkeitstypus zu einer Einheit zusammenfassen. »Archetypen sind genetisch verankerte, evolutionär erworbene universale Bereitschafts- und Reaktionssysteme des menschlichen Organismus«, erklärt Psychologin Alexandra Kleeberg. Es seien kollektive Phänomene menschlicher Erfahrungsmuster, Dispositionen, Möglichkeiten, Potenziale, die über die Form – Bild, Symbol, Muster – vererbt würden.

Archetypen

Imagination kann genutzt werden, um aus dem inneren Schöpfungsmeer, den inneren Bildern und Symbolen, das herauszugestalten, was heilende und regenerierende Kräfte in uns freisetzt. Die Psychologin und Autorin Alexandra Kleeberg nutzt für ihre Arbeit abgewandelte Techniken aus der Jungschen Psychoanalyse. Im Gegensatz zu Jungs »Aktiver Imagination« bedeutet bei ihr jedoch z.B. Imaginieren das direkte Eintauchen in die archetypischen Felder, wie sie es in ihrem Buch »Selbstheilung« in modellhaft ausformulierten Fantasiereisen vorgeschlägt. Ähnlich wie Jung sieht auch sie in den Archetypen wichtige Instanzen, die viel über unsere innere Konstitution verraten. »Eine seelische Notlage ist oft Ausdruck davon, dass sich ein Mensch von seinen archetypischen Wurzeln entfernt und damit die Beziehung zum Unbewussten und seiner Selbstheilungskraft verloren hat«, erläutert sie. Für ihre Arbeit hat sie daher eine Reihe eigens definierter Archetypen, wie z.B. den »Archetyp des Heilens« oder den »Archetyp der Verbundenheit« erschaffen, die einen direkten Zugang zu Heilung und Verbundenheit schaffen sollen.

In Märchen, Mythen, Gedichten und Liedern hat Kleeberg eine große Vielfalt an Inspiration für Imaginationen zur Selbstheilung gefunden. Die Wandlung von Dunkelheit in Licht, von negativen Gefühlen in positive und die Erfahrung von einer tiefen Verbundenheit mit der Natur sowie den unsichtbaren Kräften des Lebens werden auf bildhaft-erzählerische Weise am besten dargestellt und so für uns emotional nachvollziehbar. Es soll eine Art Lernprozess über das innere Auge stattfinden.

Imagination ist neben dem Handauflegen vermutlich eine der ältesten Methoden der Veränderung des Bewusstseins, und daher der Selbstheilung, meint Alexandra Kleeberg. Sich der inneren Bilder zu bedienen als auch neue innere Bilder zu entwerfen oder bestehende zu verändern kann einen tiefen Wandel in uns auslösen. Im eigenen Kern, der eigenen Mitte angekommen, stehen Gedanken und Emotionen nicht mehr im Vordergrund. Es bleiben nur noch Bilder, die sich auf mysteriöse Weise vor unserem Auge ausbreiten und Schauplätze und Situationen offenbaren, in denen wir zu Handlung und Reaktion aufgefordert werden, wie im äußeren Leben. Die innere Reise kann beginnen.

Bewusst Wahrnehmen

Kleeberg beschreibt in ihrem Buch zur Selbstheilung schamanische und andere kreative Techniken, erläutert Grundlagen der Epigenetik, der Quantenphysik und der Psychologie. »Mich begeistert dieser Spagat zwischen Jungianischer Analyse und Verhaltenstherapie, zwischen Mystik und Profanität, zwischen Zellbiologie und Quantenphysik, zwischen Körper und Psyche, zwischen Psychoneuroimmunologie und Märchen, zwischen Wissenschaft und Imagination, zwischen Opfertum und Schöpferinnentum, zwischen Individuation und Transzendenz«, schreibt sie und bringt damit ihre spielerisch neugierige Natur zum Ausdruck.

Auf dieselbe spielerische Weise darf der Leser sich der Lektüre und den vorgeschlagenen Meditationen und Fantasiereisen widmen, die das Buch enthält. Er kann sich einen »Medizinbeutel« mit Krone, Flügeln und Clownsnase füllen oder seinen Lebensgeschichte aus Sicht eines erkrankten Organs aufschreiben oder aus Ton eine gewünschte Körperhaltung formen. Beinahe alle Alltagstätigkeiten können heilend mit Energie aufgeladen werden: Die Kraft eines Sonnenstrahls kann zu bestimmten Körperteilen geleitet werden, frische Energie bewusst ein- und alte ausgeatmet werden, der täglichen Nahrung können wir ein Dankes-Ritual zukommen lassen und beim Waschen können wir uns bewusst von negativen Energien befreien usw.

Grundlegend geht es immer wieder um das Hinspüren, um das bewusste Wahrnehmen von inneren Anteilen, die wir vergessen oder verdrängt haben. Und es geht um Selbstverantwortung. Ohne ein echtes Verlangen nach Heilung, nach dem Gefühl von Wohlsein und ohne die Einsicht, dass das, was in uns wirkt, durch uns verursacht wird, kann keine wirkliche Heilung stattfinden. Naturheilverfahren oder eine Psychotherapie sind laut Kleeberg im Grunde »Fremd-Heilverfahren«, in denen andere die Verantwortung übernehmen. »In unserem energetischen Feld ist jegliche Information für die Heilung unseres Selbst enthalten. Selbstheilungstechniken aktivieren tief in unserem Körper eine ihm innewohnende Macht in Verbindung mit dem uralten Wissen und einer Freiheit, unsere energetische Ressource, die das Potenzial dazu liefert«, erläutert sie und zeigt damit, dass alles, was wir brauchen, in uns selber liegt.

Alexandra Kleeberg vergleicht unsere kreative Imatinationskraft mit dem Flaschengeist im Märchen. Der Geist in der Flasche symbolisiert unser kreatives Erbe, das eingeschlossen ist. Wir müssen den Geist frei- und kreativ werden lassen, dann schöpfen wir wieder aus unserem vollen Potenzial. Wenn wir uns dabei eine gute Prise Enthusiasmus und Offenheit bewahren, kann die Reise nur gelingen.